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Schwerpunkt Juli 2021
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Palliativmedizin – Achtsame Behandlung der Patienten und Begleitung der Angehörigen

Interview mit Dr. med. Moritz Peill-Meininghaus, Helios Klinikum Berlin-Buch
Palliativmedizin – Achtsame Behandlung der Patienten und Begleitung der Angehörigen
® Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu / Fotolia.com
Bei schweren und unheilbaren Erkrankungen und auch in Anbetracht einer immer älter werdenden Gesellschaft gewinnt die Palliativmedizin zunehmend an Bedeutung. In dieser letzten Lebensphase spielen vor allem die Betreuung und die Lebensqualität der Patient:innen, aber auch die Unterstützung der ihnen nahestehenden Bezugspersonen eine wesentliche Rolle. Mit einer achtsamen Behandlung sollen die letzten Lebensmonate weitgehend schmerzfrei erlebt werden, und die Patient:innen sollen keine Angst vor unerträglichen Schmerzen haben, sondern ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tode leben. Dr. Moritz Peill-Meininghaus, Oberarzt an der Klinik für Onkologie und Palliativmedizin, Helios Klinikum Berlin-Buch, berichtet im Interview mit JOURNAL ONKOLOGIE u.a. vom Alltag und dem medizinischen und psychologischen Betreuungsangebot auf der Palliativstation.

Wie viele Patient:innen versorgen Sie jährlich auf der Palliativstation, und wie lange bleiben diese im Durchschnitt dort?

In den Jahren 2012 bis 2016 hatten wir eine Palliativstation mit 10 Betten und im Schnitt 300 Patient:innen pro Jahr betreut. Seit 2017 haben wir 2 Stationen und sind inzwischen die zweitgrößte Palliativeinheit Deutschlands mit 21 Betten, die jederzeit belegbar sind. Durchschnittlich betreuen wir nun 400 Patient:innen im Jahr.

Die Liegezeit beträgt bei unseren Patient:innen normalerweise etwa 12 Tage – dann haben wir die Symptome meist kontrolliert, und es erfolgt die Verlegung entweder in stationäre Hospize, andere Krankenhäuser oder nach Hause – das hängt vom häuslichen Umfeld ab – aber die Patient:innen dürfen natürlich auch bei uns sterben. Durch die Pandemie sind diese Prozesse allerdings etwas verlangsamt, was z.B. bedeutet, dass die Hospize nicht mehr so schnell übernehmen können, sodass die Patient:innen oft wochen- oder sogar monatelang auf unserer Palliativstation liegen.

Dadurch haben wir auch nicht die Möglichkeit, alle, die bei uns anfragen, immer bei uns aufzunehmen. Tatsächlich aber könnten wir mit unseren beiden Palliativstationen 500 bis 600 nicht heilbar erkrankte Menschen pro Jahr qualitativ hochwertig versorgen. Das bedeutet einen hohen Durchlauf, und das ist eine enorme Herausforderung, vor allem für den Pflegedienst. Es sind ja die Pflegefachkräfte, die nachts, also gerade dann, wenn viele Patient:innen sterben, alleine sind und daher möglicherweise mit 2 bis 3 Todesfällen in der Nacht konfrontiert werden. Daher ist es bei dieser hohen Anzahl von Patient:innen sehr wichtig, die besonders belasteten Pflegekräfte zu schützen – das heißt, wir müssen auch „die Pflege pflegen“.

Handelt es sich auf Ihrer Station zum Großteil um Patient:innen mit einer onkologischen Erkrankung? Wie ist die Altersstruktur der Patient:innen?

Der Anteil der onkologischen Patient:innen liegt bei 97,5% und ist damit extrem hoch. Im palliativen Bereich gibt es außerdem noch Erkrankungen aus dem kardialen und pulmologischen Formenkreis. Ihre Erkrankung befindet sich in einem sehr fortgeschrittenem Stadium. Das Alter unserer Patient:innen liegt zwischen 18 Jahren bis ins höchste Alter. Das Durchschnittsalter liegt etwa bei ca. 60 Jahren.
Aufgrund einer Spezialisierung unserer Klinik auf Sarkom-Patient:innen sowie das Vorhandensein einer großen gynäkologischen Onkologie, haben wir nicht selten 4 bis 5 etwa 30- bis 40-jährige Patient:innen. Dies ist dann natürlich eine große Belastung für das Team, gerade, wenn es sich um junge Patient:innen, junge Väter und Mütter handelt, da sie nur noch eine sehr begrenzte Lebenserwartung haben.

Gibt es bei Ihnen auch eine ambulante Palliativbetreuung?

Wir sind eine stationäre Pflegeeinrichtung, mit einem spezialisierten Team, das eine umfassende Betreuung anbietet. Es gibt bei uns und bei vielen Palliativstationen keine eigene ambulante Betreuung, da dies ein ganz eigener Sektor ist. Hierfür bräuchte man zusätzliches
Personal, das in unserer Klinik momentan nicht zur Verfügung steht. Eine eigene Palliativsprechstunde befindet sich im Aufbau, sodass Menschen
vorbeikommen und sich vorab beraten lassen können.

Wer ist in die Palliativversorgung neben den Pflegern und Ärzten eingebunden – unter anderem auch Sozialarbeiter, Psychologen und ehrenamtliche tätige Menschen? Haben Sie ein spezielles Palliative-Care-Team?

Bei schweren und unheilbaren Erkrankungen und auch in Anbetracht einer immer älter werdenden Gesellschaft gewinnt die Palliativmedizin zunehmend an Bedeutung. In dieser letzten Lebensphase ist das Ziel vor allem die Versorgung und die Lebensqualität der Patient:innen, aber auch die Unterstützung der ihnen nahestehenden Bezugspersonen spielt eine wesentliche Rolle. Mit einer achtsamen Behandlung durch ein spazialisiertes Team sollen die letzten Lebensmonate weitgehend schmerzfrei erlebt werden, und die Patient:innen sollen keine Angst vor unerträglichen Schmerzen haben, sondern ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tode leben. Unserem multiprofessionellen Team ist es wichtig, individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Körperliche Beschwerden sollen so gut es möglich ist, gelindert werden.
Neben dem spezialisierten Pflegepersonal, der palliativen Pflege und den spezialisierten Ärzten ist die Physiotherapie sehr wichtig, da dies eine sehr gute Mischung aus adjuvanter Schmerztherapie, aber auch körperlicher Nähe ist, was gerade für Menschen ohne Angehörige eine große Rolle spielt. So sagen uns viele Patient:innen, dass das Schönste am Tag die Physiotherapie war, denn es war ein Mensch da, der sich Zeit genommen und den Patient:innen auch berührt hat. Daher befürworten wir die Physiotherapie auch am Wochenende. Denn gerade diese Tage sind für palliative, einsame Patient:innen oft nicht leicht und dann können „kleine Dinge“ sehr viel bewirken.

Wir haben auch einen sehr liebevollen Psychoonkologen, der für alle Patient:innen zuständig ist. Es gibt aber auch Patient:innen, die keine psychoonkologische Betreuung möchten. Sehr wichtig sind für uns ebenfalls die kompetenten Sozialarbeiterinnen. Sie erledigen die Dinge, die für eine Verlegung noch zu klären sind, beispielsweise, was für die Verlegung nach Hause gebraucht wird, wie ein Pflegebett o.ä. Zu unserem Team gehören zudem kreative Therapeutinnen für die Bereiche Kunst und Musik. Ehrenamtliche Mitarbeiter, wie die Hospizhelfer, werden zunehmend häufiger integriert. Sie kommen von den Einrichtungen, die Hospize betreiben und helfen, indem sie z.B. Wäsche der Patient:innen holen oder Organisatorisches bei den Patient:innen zuhause erledigen. Das ist eine große Erleichterung für viele Patient:innen, die nur wenige oder keine Angehörigen haben. All diese Angebote sind auch in COVID-19-Zeiten möglich. Ein spezielles Palliative-Care-Team gibt es nicht, aber es ist eine Verbesserung der Patient:innenversorgung im Konsiliardienst durch ein spezialisiertes Pflege- und Ärzteteam geplant.

Worauf wird bei der Unterbringung geachtet, und wie sieht der Alltag auf der Palliativstation aus?

Bevorzugt erfolgt das Aufnahmegespräch durch eine Pflegekraft und einen Arzt, damit die Patient:innen erst einmal gut ankommen können und wissen, wer ihnen helfen wird. Im Aufnahmegespräch wird der Schwerpunkt auf die Symptomlast gelegt. Eine Hauptaufgabe der palliativen Versorgung ist die Beachtung und Behandlung aller Symptome und Belastungen, ob somatisch oder psychologisch, die den Sterbeprozess begleiten. Die Symptomlast gilt es „maximal zu minimieren“, damit dieser letzte Abschnitt im Leben möglichst lebenswert gestaltet wird. Neben der Symptomkontrolle ist ebenso die Einbindung der An- und Zugehörigen in diesen individuellen Sterbeprozess und den Prozess der Verabschiedung von wesentlicher Bedeutung. Es zeigt sich, dass sich über 95% der Patient:innen sehr gut bei uns aufgenommen fühlen, weil jemand für sie da ist und sie ernst genommen werden. So sagen viele Patient:innen: „Am liebsten würde ich für den Rest meines Lebens hierbleiben.“ Das ist natürlich ein schönes Lob an die ganze Abteilung. Ein persönliches und warmes Umfeld ist bei uns sehr wichtig. Gerne sage ich den Patient:innen auf den Stationen, sie seien hier bei „Wünsch Dir was“. Das ist unser Ziel, und wir alle tun eine Menge dafür, die Wünsche zu erfüllen. Für die einen ist es nur die Schmerztherapie, ein anderer wünscht sich wiederum, noch einmal die Mutter in Armenien zu sehen. In diesem Fall spendeten sowohl die Pflegekräfte als auch die Ärzte Geld, um das Ankommen in Armenien etwas zu erleichtern.
 
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