Medizin
14. September 2019 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie: Positive Zwischenergebnisse der Phase-II-Studie zu Nusinersen
Bei besonders schwer betroffenen Patienten mit einer früh einsetzenden, infantilen Form der SMA (Erstsymptome im Alter ≤ 6 Monate) äußert sich die Erkrankung bereits kurz nach der Geburt. Typische klinische Zeichen bei Säuglingen können eine Muskelhypotonie (Floppy-infant-Syndrom), fehlende Kopfkontrolle oder bulbäre Dysfunktionen und Zungenfaszikulationen sein (3). Mit Nusinersen hat sich die klinische Verlaufsperspektive für SMA-Patienten aller Altersgrupppen und Schweregrade enorm verbessert. Eine Stabilisierung des Krankheitsverlaufs und Steigerungen der Muskelfunktion wurden bei einem unbehandelten Krankheitsverlauf bis dato nicht beobachtet (4-6), kaum einer dieser Patienten erreichte bis dahin altersgemäße motorische Fähigkeiten wie das Heben des Kopfes, freies Sitzen, Stehen oder Gehen (7). Inzwischen wurden weltweit bereits über 8.400 Patienten mit dem reversiblen Spleißmodulator behandelt (8).
NURTURE-Studie: Nusinersen erzielt bisher unerreichte Effekte auf die Motorik
Das große Potenzial des Wirkstoffs untermauert die Interimsanalyse der NURTURE-Studie. In der Studie werden 25 Neugeborene mit genetisch gesicherter SMA-Diagnose bereits seit den ersten Lebenswochen und vor dem Auftreten erster Symptome mit Nusinersen therapiert (1). Zum Zeitpunkt der Zwischenauswertung im März dieses Jahres lag das mediane Alter der Teilnehmer bei 34,8 Monaten. 100% der Studienteilnehmer haben überlebt und keines der Kinder bedurfte einer permanenten Beatmung oder Tracheotomie. Die Säuglinge und Kleinkinder in der Studie entwickelten nahezu altersgerechte motorische Fähigkeiten, sie alle erlernten eigenständig zu sitzen und rund 92% von ihnen konnten mit und 88% sogar ohne jegliche Hilfe laufen. Dabei besitzen 15 Teilnehmer der Studie sogar lediglich 2 SMN2-Kopien, was aller Voraussicht nach zu einer besonders schwerwiegenden Ausprägung der Muskelerkrankung geführt hätte.
Neugeborenenscreening sichert bessere Prognose durch Früherkennung
Je früher die SMA-Erkrankung behandelt wird, desto besser die Zukunftsperspektive für Patienten. Die aktuellen Forschungsergebnisse deuten auch auf die mögliche Bedeutung einer Früherkennung im Rahmen eines Neugeborenenscreenings hin. Es könnte sicherstellen, dass Betroffene ursächlich behandelt werden, bevor es zu klinischen Zeichen einer Neurodegeneration mit einem rasch progredienten Absterben der Motoneuronen und einem daraus resultierenden motorischen Funktionsverlust kommt.
Bislang erfolgt die SMA-Diagnose oft noch verzögert, bedingt dadurch, dass sich die Symptome der Betroffenen in einem unterschiedlichen Alter und Ausmaß bemerkbar machen (9). Um die Rate früh erfasster SMA-Fälle zu steigern, wird von Experten die Aufnahme der genetischen Testung auf SMA in das bereits existierende Neugeborenen-Screeningprogramm empfohlen. In Bayern und Nordrhein-Westfalen laufen entsprechende Pilotprojekte seit Januar 2018.
Erste zugelassene Genexpressions-modifizierende Therapie
Das Antisense-Oligonukleotid Nusinersen ist das erste und in der Europäischen Union derzeit einzige zugelassene Arzneimittel bei SMA. Die Zulassung beruht auf den beiden multizentrischen, randomisierten, doppelt verblindeten Studien ENDEAR (10) und CHERISH (11) und gilt altersunabhängig für alle genetisch gesicherten Phänotypen der 5q-SMA (12). Die Wirksamkeit und Sicherheit von Nusinersen ist durch ein umfangreiches Studienprogramm mit über 300 Patienten untersucht worden, und hat sich in mittlerweile 6 Jahren Behandlungserfahrung in der klinischen Praxis fortwährend bestätigt (13, 14).
Interdisziplinäre Betreuung in neuromuskulären Zentren notwendig
Patienten mit einer Neudiagnose der SMA sollten unmittelbar an ein spezialisiertes, neuromuskuläres Behandlungszentrum überwiesen werden. Bei Säuglingen und Kleinkindern wird die SMA aufgrund der raschen Progression als Notfall gesehen und dementsprechend von den Zentren priorisiert. Um längere Wartezeiten zu vermeiden, ist es daher insbesondere bei pädiatrischen Patienten ratsam, die Diagnose SMA bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Zentrum anzugeben. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. stellt Adressen dieser Behandlungszentren auf ihrer Website unter bit.ly/SMA-DGM bereit. Niedergelassenen Ärzten steht zudem ein kostenfreier Gentest per Trockenblutkarte zur Verfügung, der von der Archimed Life Science GmbH auf www.sma-diagnostics.com oder telefonisch unter der Service-Hotline 0800-4430420, von Mo.-Fr. 8-14 Uhr, bereitgestellt wird. Denn wie die NURTURE-Daten eindrucksvoll zeigen, kann eine frühzeitige Diagnose den Erkrankungsverlauf von SMA-Patienten positiv beeinflussen.
Quelle: Biogen
Literatur:
(1) Sansone D et al. Eur J Neurol 2019; 26 (Suppl 1): 83.
(2) Farrar MA, Kiernan MC. Neurotherapeutics 2015; 12:290-302.
(3) Wang et al. J Child Neurol 2007; 22(8): 1027-1049.
(4) Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP): Summary of opinion (initial authorisation); 21 April 2017; EMA/181654/2017.
(5) Castro D. AAN Emerging Science Platform Session, 24. April 2018: Clinical Trials Plenary Session, #003.
(6) Montes J et al. Neurology 2018; 90 (15 Suppl): P2.322.
(7) Faravelli I et al. Nat Rev Neurol 2015; 11 (6): 351-359.
(8) Data on file. Core Data Sheet, Version 9, 31. Januar 2019.
(9) Lin CW, Kalb SJ, Yeh WS. Pediatr Neurol 2015; 53 (4): 293-300.
(10) Finkel RS et al. N Engl J Med 2017; 377: 1723-1732.
(11) Mercuri E et al. N Engl J Med 2018; 378: 625-635.
(12) Fachinformation Spinraza®, Stand: Mai 2019.
(13) Data on file. Biogen Inc, Cambridge, MA.
(14) Hua Y et al. Genes Dev 2010; 24(15): 1634-1644.
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