Donnerstag, 28. März 2024
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Podcast

Das Geschlecht in der Onkologie mitdenken

von Dr. rer. nat. Carola Göring und Prof. Dr. med. Anne Letsch

Das Geschlecht in der Onkologie mitdenken
Onkologie ist mehr als moderne Mutations-getriebene Diagnostik und Therapie. Daher ist es sinnvoll, das biologische und auch das soziale Geschlecht der Patient:innen mitzubedenken, meint Prof. Dr. Anne Letsch, Kiel. Männer brauchen besonderes Augenmerk, da sie häufiger an Krebs erkranken und sterben, Frauen hingegen vertragen die Therapien schlechter. Hilfreich für die Praxis sind Tipps zur Prävention von Krebserkrankungen und Infos zur Palliativmedizin.

Was erwartet Sie in der vierten Folge des Podcasts „GENDERMED – Geschlechter-sensible Medizin“?

Dies sind die Highlights (Minuten:Sekunden)
 
  • 00:58 Vorstellung des Gasts Prof. Dr. med. Anne Letsch
  • 01:52 Onkologie als Vorreiter der personalisierten Medizin: Weshalb auch das Geschlecht in der Onkologie mitgedacht werden muss
  • 03:48 Der Einfluss genetischer Unterschiede von Mann und Frau innerhalb der Onkologie anhand klinischer Beispiele
  • 07:40 Hormonelle Unterschiede von Mann und Frau innerhalb der Onkologie
  • 08:35 Einflüsse des sozialen Geschlechts auf die Pathogenese von Krebs
  • 10:55 Geschlechter-spezifische Wirkungen und Nebenwirkungen von Krebstherapien
  • 16:12 Geschlechter-spezifische Aspekte der Krebsnachsorge
  • 20:37 Welche Geschlechter-spezifischen Aspekte lassen sich für die Krebsprävention nutzbar machen?
  • 29:04 Geschlechter-spezifische Unterschiede in der Palliativmedizin
  • 35:05 Prof. Dr. med. Letschs Zugang zur Gendermedizin

Hören Sie rein!

GENDERMED – ein Podcast von journalmed.de · Gendermedizin: Geschlecht in der Onkologie mitdenken

Shownotes zur Podcast-Folge „Das Geschlecht in der Onkologie mitdenken“

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Transkript zur Podacastfolge: „Geschlecht in der Onkologie mitdenken“

(Es gilt das gesprochene Wort)

Patientin oder Patient. Das macht einen Unterschied. Medizinjournalistin Dr. rer. nat. Carola Göhring erklärt Geschlechter-sensible Aspekte der Medizin gemeinsam mit Expert:innen hier im GenderMED-Podcast von journalmed.de.

Dr. Carola Göring: Ich begrüße Sie liebe Hörerinnen und Hörer hier zum GenderMed-Podcast. Heute geht es um Geschlechteraspekte in der Onkologie, die ja an sich schon ein riesiges und sehr modernes Fach ist. Meine Gesprächspartnerin heute erklärt, warum es viel Sinn macht in der Krebsmedizin auf das Geschlecht zu achten. Herzlich willkommen Frau Prof. Letsch.

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, liebe Frau Dr. Göring, vielen Dank für die Einladung und ich freue mich auch, bei Ihnen zu sein und heute mit Ihnen über dieses spannende Thema zu sprechen.

Vorstellung des Podcastgasts Prof. Dr. med. Anne Letsch

Dr. Carola Göring: Bevor ich mit den Fragen anfange, möchte ich noch ein paar Worte zu Ihrer Person sagen. Professor Dr. Anne Letsch ist Oberärztin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Sie leitet dort das Onkologische Zentrum am Campus Kiel. Die Fachärztin für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie und Zusatzbezeichnung Palliativmedizin engagiert sich für moderne Versorgungskonzepte, die über Sektorengrenzen hinausgehen. Weiter ist sie aktiv in der Gendermedicine Task Force der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie, ESMO, und in dem 2020 gegründeten Arbeitskreis Diversität und Individualmedizin der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie DGHO. Liebe Hörerinnen und Hörer, die Links zu diesen beiden wichtigen Arbeitsgruppen finden Sie natürlich in den Shownotes.

Welche Rolle spielt das Geschlecht in der Onkologie?

Dr. Carola Göring: Frau Prof. Letsch, die Onkologie gilt ja als Vorreiter-Disziplin, wenn es um die personalisierte Medizin geht. Warum machen Sie sich für eine geschlechtersensible Betrachtung in der Onkologie stark? Ist das überhaupt nötig, wenn man sowieso nach dem molekularen Mutationsprofil diagnostiziert und therapiert?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, das ist eine gute Einstiegsfrage. Wir sind natürlich sehr weit gekommen mit den Konzepten der Präzisionsonkologie. Das heißt, wir haben immer weniger gleiche Therapien für Patientinnen und Patienten mit der gleichen Erkrankung. Ein Beispiel dafür ist es Lungenkarzinom, wo wir viele durch die genaue genetische Analyse der Tumorzellen definierte Untergruppen haben, die dann von spezifischen Therapien profitieren.

Diese Präzisionsonkologie schaut aber im Wesentlichen auf die Eigenschaften der Tumorzellen. Und was wir dabei tatsächlich manchmal vernachlässigen, ist, dass es noch deutlich mehr ist. Wir haben tatsächlich auch noch die sogenannten Wirtsfaktoren. Wir haben das Immunsystem, wir haben unterschiedliche Körpergewebe, wir haben auch hormonelle Einflüsse und wir haben auch möglicherweise eine unterschiedliche Effektivität von Therapeutika. Das heißt, Chemotherapeutika oder andere Therapien werden auch abhängig vom Geschlecht anders verstoffwechselt…

Und diese Aspekte spielen in der klassischen Präzisionsonkologie bisher keine Rolle. Deshalb wäre meine dringende Empfehlung, dass wir diese Konzepte tatsächlich integrieren und die Präzisionsonkologie weiter verstehen, dass wir nämlich gerade auch solche geschlechtsspezifischen oder genderspezifischen Aspekte zusätzlich zu den genetischen Eigenschaften der Tumorzellen berücksichtigen.

Der Einfluss genetischer Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Onkologie

Dr. Carola Göring: Ich frage Sie gleich noch mal genauer danach, wie man diese Konzepte in die Präzisionsonkologie integrieren kann. Was mich jetzt erstmal interessiert ist, wenn es um die Krebserkrankungen geht, sind die Männer ja benachteiligt. Sie erkranken häufiger an Krebs und sterben auch eher daran als Frauen. Stimmt das überhaupt? Und wenn ja, können Sie diese Unterschiede beziffern?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, das stimmt tatsächlich. Und wir haben ungefähr eine 20% höhere Rate an Krebserkrankungen bei Männern und ein deutlich verkürztes Überleben. Das ist unterschiedlich, wenn wir uns die einzelnen Tumorerkrankungen anschauen, ich sage mal klassische Beispiele, wo wir tatsächlich ein deutliches Übergewicht von Männern haben, ist der Darmkrebs, ist Lungenkrebs, sind Blasenkrebs und Nierenzellerkrankungen. Wenn wir die Tumoren, die aus dem Gastrointestinaltrakt entstehen, also die Speiseröhre, den Magen. Da haben wir tatsächlich ein Übergewicht an erkrankten Männern. Ganz wenige Erkrankungen treten gehäuft bei Frauen auf. Da sind Krebserkrankungen, die die Schilddrüse betreffen, oder die Gallenblase. Aber für alles andere gilt tatsächlich ein Übergewicht der Männer.

Dr. Carola Göring: Mhm, wenn man jetzt diese größere Anfälligkeit der Männer gegenüber Krebserkrankungen sieht, dann stellt sich ja die Frage, was ist denn bei den Männern anders als bei den Frauen? Und sie haben das ja eben schon bei der ersten Antwort angedeutet: Biologie, soziales Geschlecht. Und vielleicht geben wir das jetzt mal, was Sie aufgezählt haben, kurz der Reihe nach durch und ein bisschen mehr ins Detail. Und wenn es geht, wäre es auch super, wenn Sie klinische Beispiele dazu hätten. Also die erste Frage wäre dann: Was gibt es für wichtige Unterschiede in der Biologie?

Prof. Dr. Anne Letsch: Also vor allen Dingen gibt es erst mal genetische Unterschiede. Wir haben ja wissen, dass Frauen 2 X-Chromosome haben. Männer haben ein X- und ein Y-Chromosomen und wir wissen auch, dass zum Teil auf dem X Chromosom sogenannte Tumorsuppressor Gene verortet sind. Das sind Gene, die die Funktion haben, dass die Krebsentstehung im Körper unterdrückt wird. Und in allen genetischen Anlagen kann es aber Veränderungen geben, die dann zu einer Fehlfunktion führen. Und wenn so ein Tumorsuppressorgen ausfällt, dann erhöht sich die Entstehungswahrscheinlichkeit für Krebserkrankungen. Wenn das bei Frauen passiert, zum Beispiel auf einem der X Chromosome, haben die eigentlich immer noch so eine Ersatzkopie auf dem anderen X Chromosom. Bei Männern sieht das manchmal schon anders aus, weil da haben wir natürlich nur das Y Chromosom, auf dem deutlich weniger Gene verortet sind und wo es dann sein kann, dass so eine einzelne Veränderung tatsächlich auch fatale Folgen hat und dann eine Krebsentstehung begünstigt.

Das ist ein Faktor. Wir haben aber auch zum Teil unterschiedliche sogenannte Krebsgene, die dann auch wieder die Biologie beeinflussen. Und ein ganz klassisches Beispiel, was auch vielfach bekannt ist, ist das BRCA-Gen. Das wurde mal bekannt durch Angelina Jolie. Und wir wissen ja, dass es ein familiärer Risikofaktor für die Entstehung von gerade Brust und Eierstockkrebserkrankung ist. Und da sehen wir auch, dass das aber unterschiedliche Effekte haben kann bei Männern und Frauen, bei Frauen eben die Prädisposition oder die höhere Entstehungswahrscheinlichkeit für die genannten Krebsarten. Bei Männern sorgen solche BRCA Veränderungen eher dafür, dass in gehäuften Maße Prostatakrebserkrankungen zum Beispiel entstehen können oder Bauchspeicheldrüsen-Erkrankungen. Und so sehen wir das, obwohl wir die gleichartige genetische Veränderung haben, die Effekte tatsächlich dann auf die Entstehung von Krebserkrankungen, abhängig vom Geschlecht, durchaus unterschiedlich sein können.

Der Einfluss hormoneller Unterschiede von Mann und Frau innerhalb der Onkologie

Dr. Carola Göring: Ja, das ist ja schon sehr spannend. Können Sie auch noch was zu den Hormonen sagen? Weil die wirken ja quasi wie die Gene auch in jeder Zelle.

Prof. Dr. Anne Letsch:  Genau. Also die Östrogene kann man nennen, die ja vielfach bei Frauen vorkommen. Und die haben vielfältige Effekte tatsächlich auf biologische Prozesse, auf die Psyche, auf Stressverarbeitung und auch auf die Entwicklung von Krebserkrankungen. Und diese hormonellen Veränderungen, zum Beispiel in den Wechseljahren, die können auch für die Entwicklung und Aggressivität von Krebserkrankungen verantwortlich gemacht werden.

Und das ist etwas, was wir natürlich in der alleinigen genetischen Analyse von Tumorzellen nicht berücksichtigen. Und da müssen wir genau hingucken und das genauer verstehen, und ich glaube auch, immer wieder von anderen Fachrichtungen lernen, die möglicherweise da Erkenntnisse haben und wo wir auch sagen, was können wir da auch auf den Bereich der Onkologie übertragen.

Einflüsse des sozialen Geschlechts innerhalb der Pathogenese von Krebs

Dr. Carola Göring: Da haben Sie mir jetzt schon das Stichwort gegeben. Eben, die molekulare Genanalyse ist nicht alles, die berücksichtigt ja auch nicht die soziale Rolle oder das soziale Geschlecht. Was gibt es denn da für wichtige Unterschiede, die Krebserkrankungen beeinflussen können?

Prof. Dr. Anne Letsch: Genau. Wir beantworten ja ganz eindrückliche Zahlen, dass wir inzwischen wissen, dass wahrscheinlich 40% der Krebserkrankungen tatsächlich durch eine gesündere Lebensweise zu verhindern wären. Das ist natürlich ein erheblicher Anteil, wo wir nicht nur eine medizinische, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben, auch darauf immer wieder  aufmerksam zu machen. Da kann man sich einzelne Faktoren rauspicken, also zum Beispiel der unterschiedliche Einfluss der Ernährung. Da wissen wir, dass es dort geschlechts- bzw. genderabhängige Unterschiede gibt, dass Frauen zum Teil deutlich mehr auf eine gesündere Ernährung achten, dass wir da aber auch natürlich immer wieder sozial konditionierte, auch regional unterschiedliche Gewohnheiten haben, die sich dann wiederum auch in der Entstehung von Krebserkrankungen auswirken. Ein Beispiel ist das Magenkarzinom im asiatischen Bereich, das wahrscheinlich durch die genetische Anlage, bei Asiaten aber auch gerade durch Essverhalten etc. unterschiedlich ausgeprägt sein kann.

Dr. Carola Göring: Gibt es denn auch Geschlechterunterschiede, die in der Diagnostik eine Rolle spielen?

Prof. Dr. Anne Letsch: Sie meinen in der Früherkennung und in Screening-Verhalten? Also da haben wir einige sehr gut etablierte Krebsvorsorge-Programme, die betreffen zum Beispiel den Brustkrebs, Darmkrebs, Vorsorge, Gynäkologische Erkrankungen - Und da sehen wir, dass Frauen sehr viel bereitwilliger den Empfehlungen für die Krebsvorsorge folgen, als es Männer tun. Und das hat natürlich Einfluss darauf, dass wir Krebserkrankungen möglicherweise in einem früheren Stadium identifizieren können und dann einfach häufiger auch besser behandeln oder sogar heilen können, weil die alleinige Operation dann dazu führt, dass die Patientinnen und Patienten wieder tumorfrei leben können.

Geschlechter-spezifische Wirkungen und Nebenwirkungen von Krebstherapien

Dr. Carola Göring: Verstehe. Dazu frage ich dann später noch mal nach. Was aber auch ganz wichtig ist, was Sie eben auch schon angesprochen haben, bei den Therapien gibt es ja auch Geschlechterunterschiede in der Wirkung und auch der Nebenwirkung. Können Sie das etwas konkretisieren und auch ein, 2 Beispiele nennen?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, wir stellen tatsächlich fest, dass Frauen häufiger vermehrte Nebenwirkungen unter Krebstherapien zeigen. Und das betrifft vor allen Dingen jüngere Frauen. Und das ist natürlich gerade eine Gruppe, wo man denkt, die möchte man besonders gut behandeln. Man möchte ja auch effektive Therapien verabreichen, damit wir die Betroffenen in die Lage versetzen, möglichst lange und möglichst gut mit dieser Krebserkrankung zu leben. Aber wir sehen, dass die Verträglichkeit teilweise signifikant schlechter ist als bei Männern. Und wir haben zusätzlich einen Alterseffekt, der eine Rolle spielt.

Dr. Carola Göring: Der Alterseffekt heißt, im höheren Alter besser verträglich oder schlechter?

Prof. Dr. Anne Letsch: Für die Frauen gilt es, dass in der Regel die jüngeren Frauen schlechtere Verträglichkeit zum Teil aufweisen. Man hat dann natürlich altersbedingte Empfindlichkeiten, die zum Beispiel die Blutbildung angehen, wo man sagt, die sind dann teilweise bei älteren Frauen ausgeprägter.

Aber gerade zum Beispiel das Thema Übelkeit und Erbrechen ist etwas, was bei Frauen eine deutlich größere Rolle spielt. Und interessanterweise gilt es nicht nur für die Chemotherapeutika, sondern auch für moderne Krebstherapien, die wir im Moment haben. Zielgerichtete Medikamente, die ganz speziell Schwachstellen von Tumorzellen adressieren und attackieren und auch für moderne Konzepte der Immuntherapeutika, wo wir sehen, dass auch da Frauen zum Teil eine höhere Rate an Autoimmun-Nebenwirkungen haben, die durch diese Substanzen vermittelt werden.

Dr. Carola Göring: Das ist ja total spannend. Haben Sie da irgendeine Erklärung dafür, woran das liegen könnte?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, also gerade die Frage mit der Übelkeit haben wir auch in Fachkreisen sehr intensiv diskutiert, ohne bisher eine klare Erklärung oder eine alleinige Erklärung zu haben. Wir. Wir wissen, dass es durchaus sehr unterschiedliche Stoffwechselvorgänge gibt, die die Medikamente dann abbauen im Körper. Das fängt an mit dem Körperfett, das hängt zusammen mit Enzymen, die diese Medikamente wieder spalten, damit sie dann ausgeschieden werden können. All diese Dinge variieren tatsächlich geschlechtsabhängig und spielen möglicherweise eine Rolle, dass diese Nebenwirkungsrate zum Teil höher ist.

Die Gefahr, die dann besteht, ist, dass wir natürlich bei einem gehäuften Auftreten von Nebenwirkungen auch dazu neigen, dass wir die Dosis der Therapie reduzieren oder nicht nur dazu neigen, sondern auch gezwungen sind, die Dosis zu reduzieren, Pausen zu machen, weil die Verträglichkeit einfach so schlecht ist. Und was wir dann natürlich sehen, ist, dass möglicherweise auch die Effektivität abnimmt, weil einfach eine geringere Dosis verabreicht wird. Und das sind alles Dinge, die ineinander greifen, die wir aber noch einfach genauer, systematischer analysieren müssen.

Dr. Carola Göring: Ja, verstehe. Aber da zeigt sich ja, glaube ich, dann auch wirklich, dass die supportive Therapie, also die unterstützende Therapie, einen sehr großen Stellenwert hat, in dem man eben diese Nebenwirkungen ja auch behandeln kann.

Prof. Dr. Anne Letsch: Genau. Also das ist sicherlich dann ganz wichtig und wir müssen natürlich auch die Wirkmechanismen der Substanzen genauer analysieren. Also wir müssen genau verstehen, nicht nur wie die Medikamente abgebaut werden, sondern möglicherweise auch wie die an Rezeptoren, also an quasi Schlüsselstrukturen der Krebszellen, die für das Überleben der Krebszellen verantwortlich sind, binden, wie bestimmte Signalkanäle unterschiedlich vielleicht adressiert werden, je nach Geschlecht. Und das sind alles so Effekte, die wir, glaube ich, mehr und mehr berücksichtigen müssen.

Das Maligne Melanom als Praxisbeispiel für Geschlechter-spezifische Aspekte der Onkologie

Dr. Carola Göring: Verstehe. Das waren jetzt ganz schön viele Infos. Vielen Dank. Ich würde Ihnen die Aufgabe zuspielen, das noch mal für unsere Hörer:innen zu bündeln von der klinisch praktischen Seite. Wenn wir jetzt ein Beispiel hätten, zum Beispiel einen Mann mit einem bösartigen Hautkrebs, also einem Melanom, wie sähe das dann aus? Biologie, Soziales Geschlecht, Therapie?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, das ist also das Melanom ist. Da haben wir so 2 Blöcke der Therapien, muss man sagen. Wir haben einmal die Immuntherapie, die ja tatsächlich beim Melanom als erstes getestet und auch erfolgreich in die Standardtherapie integriert wurde. Und da ist es bisher so, dass wir keine Geschlechtsunterschiede in den Behandlungskonzepten machen. Was man sicher berücksichtigen muss, ist, dass wir gerade was das Nebenwirkungsmanagement dieser Immuntherapie angeht, dass wir da auch noch mal ein Augenmerk darauf haben, dass gerade unter Kombinationsimmuntherapien, die wir häufig bei den Frauen machen, dass wir da ganz wachsam sein müssen, was die Nebenwirkungsrate angeht. Melanom-Patientinnen und -Patienten sind ja häufig auch jüngere Betroffene. Und da ist es natürlich auch noch mal wichtig, dass wir gerade das Thema Patientensicherheit adressieren. Gerade wenn es um prophylaktische Therapiekonzepte nach der Entfernung des primären Tumors geht, zum Beispiel.

Geschlechter-spezifische Aspekte der Krebsnachsorge

Dr. Carola Göring: Wenn es um die geschlechterabhängigen Unterschiede geht, wie sieht das aus in der Nachsorge? Gibt es da Geschlechteraspekte zu beachten?

Prof. Anne Letsch: In der Nachsorge ist die eine Aufgabe natürlich, das Wiederauftreten der Erkrankung zu identifizieren und da spielt eine gewisse Adhärenz, das heißt das Befolgen der entsprechenden Termine und Empfehlungen, eine Rolle. Da haben wir wahrscheinlich eher Genderunterschiede und müssen gucken, dass wir da in der Akzeptanz höher kommen, ähnlich wie das für die Screening-Programme eine Rolle spielt.

Ein zweiter, ganz relevanter Aspekt ist allerdings auch die Langzeitfolgen von Krebstherapien, gerade für Patientinnen und Patienten, die wir erst mal, wo die Erkrankung komplett verschwunden ist und wo wir dann aber ganz sorgfältig beobachten müssen, wie denn möglicherweise die Effekte auf die gesunden Organsysteme sind. Und da wissen wir, dass auch da wieder Frauen anfälliger sind als Männer für Langzeitfolgen, die mit der Krebstherapie zusammenhängen.

Da sind zum Beispiel Nebenwirkungen aufs Herz gut untersucht, wo wir sehen, dass wir da tatsächlich eine höhere Rate bei den Frauen haben als bei den Männern. Diese Aspekte sind auch nicht systematisch richtig untersucht bisher. Auch dazu brauchen wir noch mal strukturierte Konzepte, um da genauer hinzugucken und dann auch zu sagen Vielleicht brauchen nicht alle alles an Kontrolluntersuchungen, sondern wir können zum Teil auch Ressourcen sparen, indem wir wissen, wie wir Risikogruppen definieren können und dann auch für diese individuelle Nachsorge Konzepte entwickeln.

Dr. Carola Göring: Und bei diesen Risikogruppen, da würden dann auch die Geschlechter-Aspekte mit reinspielen. Ja, super.

Prof. Dr. Anne Letsch: Genau.

4 gute Gründe für die Beachtung des Geschlechts in der Onkologie

Dr. Carola Göring: Sie haben ja in der europäischen Gender Task Force mitgearbeitet bzw. arbeiten mit, haben diese mitgegründet und haben jetzt in diesem Jahr auch eine aktuelle Veröffentlichung gemacht, die dann auch in den Shownotes zu finden ist. Und da zählen Sie 4 gute Gründe auf, warum die Beachtung von biologischen und sozialen Geschlechterunterschieden den Behandlungserfolg sowohl von Männern als auch von Frauen verbessern kann. Das haben Sie ja eben schon zum Teil auch gesagt. Ich würde Sie jetzt einladen zu einem kurzen Frage-Antwort-Spiel. Ich gebe Ihnen 4 Stichworte und Sie liefern das Argument, warum dann eine geschlechtersensible Betrachtung gut wäre. Also sozusagen eine ganz, ganz kurze Zusammenfassung von diesem Paper.

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, auf dieses Spiel lasse ich mich gerne ein.

Dr. Carola Göring: Gut. Stichwort: Wirksamkeit und Nebenwirkungen.

Prof. Dr. Anne Letsch: Die Balance zwischen Wirksamkeit und Nebenwirkungen kann durch geschlechtsspezifische Therapiekonzepte erweitert und verbessert werden.

Dr. Carola Göring: Unterschiedliche Tumorbiologie.

Prof. Dr. Anne Letsch: Die Analyse der potenziellen Unterschiede in der Tumorbiologie wird signifikant die Entwicklung von geschlechtsspezifischen Therapien befördern und die Therapien effektiver gestalten.

Dr. Carola Göring: Warum soll man weiter forschen zu Unterschieden in der Tumorbiologie?

Prof. Dr. Anne Letsch: Das bessere Verständnis der Tumorbiologie wird uns hoffentlich in die Lage versetzen, tatsächlich geschlechtsspezifische Therapiestrategien zu entwickeln und damit auch eine größere Effektivität zu erreichen. Und damit werden wir hoffentlich auch das schlechtere Überleben der Männer im Vergleich zu den Frauen auflösen und die Männer auch besser behandeln können.

Dr. Carola Göring: Das vierte Stichwort die sozialen Rollen und die Rollenerwartung, die sozialen Rollen und die Rollenerwartungen. Warum soll man da geschlechtersensible Aspekte untersuchen?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, da spielt das Stichwort Zugangsgerechtigkeit auch eine Rolle. Das heißt, wir wollen natürlich, dass Frauen und Männer gleichermaßen Zugang zu modernen, innovativen Krebstherapien haben. Und da müssen wir manchmal auch genau hingucken, dass wir nicht nur das Gleiche anbieten, sondern dass wir dahin kommen, dass wir das in gleichem Maße angenommen wird. Und dafür braucht es möglicherweise auch genderspezifische Konzepte, zum Beispiel, wenn es um klinische Studien geht. Aber auch wenn es um die Inanspruchnahme von unterstützenden Maßnahmen geht, die erst die Therapieverträglichkeit ermöglichen.

Welche Geschlechter-spezifische Aspekte lassen sich für die Krebsprävention nutzbar machen?

Dr. Carola Göring: Ja, vielen Dank. Also das waren 4 gute Gründe für eine geschlechtersensible Betrachtungsweise in der Onkologie. Sie haben eben schon das Stichwort Prävention angesprochen. Und hier sind wir auch auf die Ernährung eingegangen und haben mir auch gesagt, dass circa 40% aller Krebserkrankungen durch eine andere Lebensführung vermeidbar wäre. Das ist ja eine extrem hohe Zahl. Und neben der Ernährung, was für Faktoren spielen da noch eine Rolle und was sind Geschlechteraspekte?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, Ernährung hat natürlich möglicherweise auch was mit dem Thema Übergewicht zu tun. Und Übergewicht ist proportional häufiger tatsächlich auch ein Risikofaktor bei Männern als bei Frauen. Das ist ungefähr so im Bereich von 60% zu 40%, was die Einschätzung als Risikofaktor angeht. Damit einhergehend ist ein ganz wichtiger Faktor, um das Krebsrisiko zu minimieren das Thema körperliche Aktivität und Bewegung. Auch da sehen wir zum Teil Unterschiede, die dann natürlich reinspielen.

Ein relativ gut, aber auch sich im Verlauf verändernder Risikofaktor ist das Thema Tabakkonsum. Da haben wir nach wie vor ein Übergewicht bei den Männern. Wir haben aber auch gesehen, dass es da eine Angleichung von Geschlechterunterschieden gab und wir auch gesehen haben, dass Frauen häufiger angefangen haben zu rauchen oder rauchen und das auch zu einem Anstieg von Lungenkrebserkrankungen bei Frauen geführt hat. Das ist nicht der einzige Grund. Erstaunlicherweise gibt es auch da noch andere Gründe, die dazu geführt haben, dass tatsächlich im Gegensatz zu Männern, wo das Lungenkrebsrisiko tatsächlich auch ein bisschen angestiegen ist, die Frauen proportional eher eine höhere Steigerungsrate in den letzten Jahrzehnten hatten.

Dr. Carola Göring: Und was sind das für Gründe?

Prof. Dr. Anne Letsch: Die anderen liegen wieder in der Tumorbiologie und möglicherweise auch in genetischen Anlagen, die dann anders sind, geschlechtsabhängig.

Dr. Carola Göring: Wie sieht es mit dem Risikofaktor Alkohol aus?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, das ist ein ganz wichtiger. Und deshalb war das auch das Hauptthema der diesjährigen Krebspräventionswoche, die im September stattgefunden hat. Und da wissen wir tatsächlich auch etwas über Geschlechts- und Genderunterschiede. Also Männer konsumieren in der Regel deutlich mehr Alkohol oder auch illegale Drogen als Frauen. Frauen haben dagegen einen höheren Konsum an Medikamenten und das ist der eine Faktor. Der andere Faktor ist aber, dass der Schwellenwert einer Krebsgefährdung bei Frauen tatsächlich deutlich niedriger ist als bei Männern. Das heißt, schon bei einem täglichen Konsum von bei Frauen sagt man 20 Gramm Alkohol, das ist ungefähr 1/4 Glas Wein, haben Frauen ein erhöhtes Krebsrisiko. Bei Männern liegt ein Schwellenwert etwas höher. Und das darf man immer nicht vergessen, wenn man zu Hause gemütlich vielleicht ein alkoholisches Getränk zum Abendbrot zu sich nimmt. Wir müssen eigentlich immer da sehr viel früher aufhören als die Männer, und unser Konsumverhalten tatsächlich noch mal auch sehr kritisch unter die Lupe nehmen und sagen Ja, das ist wieder so ein typischer Geschlechtsunterschied.

Geschlechter-spezifische Risikofaktoren in der Onkologie

Dr. Carola Göring: Gibt es Alkohol-assoziierte Krebserkrankungen oder gibt es bestimmte Krebserkrankungen, die durch den Alkoholkonsum verursacht werden und andere nicht?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, es gibt tatsächlich relativ typische, mit dem Alkohol-assoziierte Krebserkrankungen. Dazu zählen Mundhöhle und Rachenkrebs, aber auch der Kehlkopfkrebs. Und dann gibt es aber auch Krebserkrankungen, von denen man das primär gar nicht so annimmt. Und dazu gehört zum Beispiel der Brustkrebs, auch der Darmkrebs und der Leberkrebs. Und auch hier ist es interessant, dass wir auch da geschlechtsspezifische Unterschiede sehen. Das heißt, auch da wirkt sich der Alkoholkonsum unterschiedlich auf Frauen und Männer aus. Und das ist vor allen Dingen gerade für Mundhöhlen-, Rachen- und Kehlkopfkrebs der Fall. Wir sehen aber auch, dass die Frauen zum Beispiel ein eher 4-fach erhöhtes Leberkrebs Risiko mit Alkoholkonsum assoziiert haben als Männer. Und die. Also das wird wieder kompliziert, grundsätzlich muss man sagen, Alkohol ist ein ganz wesentlicher Risikofaktor für verschiedene Krebserkrankungen. Und Frauen müssen noch mal eher aufpassen und vertragen im Schnitt nur die Hälfte der Menge pro Tag als Männer.

Dann haben wir weitere Risikofaktoren, die zum Teil nur Frauen betreffen. Das ist die Kontrazeption, also die Antibabypille. Es ist das Stillen als ein wesentlicher Faktor, der noch mal auch einen Schutz vor Brustkrebserkrankungen bietet. Das sind Dinge, die lassen sich natürlich nicht durch Genderunterschiede erklären, sondern sind in der Form dann spezifisch. Und was vielleicht noch relevant ist, ist auch die Noxen-Exposition, wo wir tatsächlich toxische Stoffe haben und da wiederum auch einen höheren Anteil an Männern, die da exponiert waren, möglicherweise auch durch ihre berufliche Tätigkeit.

Dr. Carola Göring: Also viele verschiedene Risikofaktoren, kann man so sagen. Und Sie haben mehrmals gesagt, das muss man adressieren. Damit komme ich zu meiner nächsten Frage. Wenn man die Kommunikation von Ärzten und Ärztinnen in der Sprechstunde betrachtet, können Sie da Tipps geben, was angesprochen werden sollte und auch, wie das angesprochen werden sollte?

Prof. Dr. Anne Letsch: Da sind wir natürlich in einem Bereich der Prävention, der eigentlich sich gar nicht so in der Onkologie befindet. Wir können natürlich immer alle anhalten, Dinge zu tun. Wenn Sie schon eine Krebserkrankung hatten. Aber das fällt natürlich häufig in den Verantwortungsbereich von Hausarzt innen und Hausärzten. Und ich glaube, da müssen wir sehr gut schauen, wie wir die auch mit entsprechenden Daten versorgen können, damit sie in der Lage sind, ihre Patientinnen und Patienten gut zu beraten.

Dr. Carola Göring: Das haben Sie ja gerade schon gemacht. Sie haben ja schon viele Daten geliefert. Das finde ich prima.

Prof. Dr. Anne Letsch: Die Sonne haben wir vergessen. Auch das ist natürlich ein wichtiger Faktor der Sonnenschutz. Und das fängt natürlich im Kleinstkindalter schon an, setzt sich fort über schulische, sportliche Aktivitäten. Und auch da können wir, glaube ich, immer wieder nicht oft genug mahnen und sagen, wie wichtig das ist, dass wir das einfach im Täglichen berücksichtigen.

Ist Palliativmedizin gleichbedeutend mit Sterbemedizin?

Dr. Carola Göring: Hmmm … Und da ich ja weiß, dass Sie Spezialistin Expertin in Sachen Palliativmedizin sind, würde ich da auch gerne noch drauf eingehen. Palliativbehandlung wird ja häufig mit dem baldigen Sterben assoziiert. Stimmt das überhaupt?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, ein Großteil der Bevölkerung und auch der Betroffenen verortet Palliativmedizin tatsächlich ausschließlich am Lebensende und assoziiert es auch mit Sterbemedizin. Worum es allerdings geht, ist eine ganzheitliche Betrachtung der Betroffenen und vor allen Dingen auch eine Verbesserung der Lebensqualität, sowohl was die körperliche, was die psychische Ebene angeht, aber auch soziale Aspekte und spirituelle Aspekte.

Und diese Konzepte können, wenn wir uns den Bereich der Krebsmedizin anschauen, sinnvollerweise nicht nur am Lebensende adressiert werden, sondern auch dann, wenn die Betroffenen mit einer lebensbeglänzenden Erkrankung konfrontiert werden.

Wir versuchen tatsächlich, Palliativversorgung auch parallel zu einer tumorspezifischen Therapie zu integrieren und frühzeitig diese Konzepte auch mit den Betroffenen und deren Angehörigen zu besprechen, um zum Teil auch vorbereitet zu sein. Um zu überlegen, „Was wäre denn, wenn die Zeit, die mir vielleicht bleibt, doch kürzer ist, als ich das hoffe“ und auch meine Umgebung das hofft und mir wünscht, dass man dann sich Gedanken macht, „Was ist denn, wenn plötzlich die Therapie nicht mehr wirkt“, „wenn eine Komplikation auftritt?“ Möchte man dann nochmal auch Maximalmedizin mit Intensivmedizin oder an welchen Stellen würde man sagen, da ist dann auch ein Therapieverzicht und die alleinige Fokussierung auf Linderung und Lebensqualität tatsächlich relevanter.

Und wir merken, dass das vor allen Dingen auch um gute Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten und den Angehörigen erfordert. Und da ist es mir ein Anliegen, dass wir das den onkologisch tätigen Kolleginnen und Kollegen immer wieder mit auf den Weg geben und versuchen, da gute Impulse und Ausbildungskonzepte zu integrieren.

Geschlechter-spezifische Unterschiede in der Palliativmedizin

Dr. Carola Göring: Und da wir uns hier immer wieder auf die Geschlechterunterschiede fokussieren - gibt es da welche in der Palliativmedizin?

Prof. Dr. Anne Letsch: Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil wir auch immer so ein bisschen die Perspektive anschauen, wer ist Betroffener? Ist es eine Ist es ein Mann, ist es eine Frau? Welche Rolle haben auch die Angehörigen? Auch da spielt natürlich das Geschlecht, das Lebensalter, die soziale Rolle eine ganz wichtige Funktion. Und ich glaube, das muss man dann auch immer wieder berücksichtigen und schauen, „wie kann man wen stärken“ und „wo sind möglicherweise Ressourcen, die man nutzen kann“, „wo sind aber auch Defizite und Belastungen, wo man möglicherweise auch durch ein Palliativteam vermehrt unterstützen muss?“

Und da müssen wir immer wieder auch hinschauen, damit mehr vielfach auch die Männer, die zum Teil nicht so stark ihre Bedürfnisse artikulieren, dass wir die nicht vergessen. Dass wir aber auch Frauen, die ab und an dazu neigen, ihr Umfeld nicht zu belasten und weiterhin eine starke soziale Rolle zu übernehmen, dass wir da auch sagen: „Jetzt sind Sie mal dran und jetzt geht es um ganz alleinig Ihre Bedürfnisse.“ Und da versuchen wir natürlich, individuelle Unterstützungskonzepte tatsächlich auch immer wieder den Betroffenen an die Hand zu geben und damit einfach auch zu gewährleisten, dass sie möglichst gut und möglichst lange mit Krebserkrankungen leben können.

Dr. Carola Göring: Und wenn Sie jetzt an Ihre niedergelassenen Kolleg:innen denken, was sollten diese wissen, wenn es um die onkologische Palliativmedizin geht?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ich glaube, sie sollten einfach Hemmungen abbauen, das anzusprechen und die vielfältigen Angebote auch immer wieder den Betroffenen an die Hand zu geben, frühzeitig - und in ihren lokalen Netzwerken gut Bescheid wissen: Welche Angebote gibt es im ambulanten Bereich - ambulante Pflegedienste, ambulante Palliativteams, aber auch Ehrenamtliche, die zum Beispiel im Rahmen von ambulanten Hospizdiensten unterstützen. Und da sind Netzwerke wirklich ganz elementar, in die in der Regel die Hausärztin und Hausärzte und auch die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gut integriert sind.
Und ich glaube, da muss man einfach immer wieder auch es schaffen, die Thematisierung von Palliativversorgung auch in den Alltag zu integrieren. Das ist natürlich manchmal nicht einfach, wenn man eine volle Sprechstunde hat. Wir sehen, dass auch dieses Adressieren dieser Belange manchmal gar nicht viel Zeit braucht, sondern dass man das immer wieder machen muss und in andere vielleicht Besprechungstermine integriert und dann auch zum Teil im Verlauf wieder darauf zurückkommen kann und sagen kann, „Erinnern Sie sich, das haben wir schon mal vor einem Jahr besprochen. Jetzt haben wir so eine Situation, wo die Therapie nicht mehr richtig greift. Jetzt müssen wir überlegen, wie tatsächlich die möglicherweise kurze verbleibende Lebenszeit für Ihre Bedürfnisse am besten zu gestalten ist.

Gender-Bias bei Hausärzt:innen – Werden Frauen von männlichen Hausärzten schlechter behandelt?

Dr. Carola Göring: Ah, das waren ja jetzt wirklich auch ganz tolle Kommunikationstipps für die Kolleginnen. Finde ich super. Jetzt wechsle ich mal abrupt das Thema. Es gibt ja einige Studien, die zeigen, dass Frauen von männlichen Ärzten schlechter behandelt werden als von weiblichen Ärzten. Wie ist das in der Onkologie?

Prof. Dr. Anne Letsch: Wir haben keine richtig Daten für die Onkologie. Aber ich glaube, wir haben ein paar ganz interessante Beobachtungen. Und da kann man sich, glaube ich, auch immer das rauspicken, was für die individuelle Situation gut ist.

Wir wissen, dass Ärztinnen und Ärzte zwar die gleiche Menge und Qualität an Informationen teilen, aber dass gerade Ärztinnen zum Beispiel häufiger über psychosoziale Effekte der Erkrankung sprechen und dass Ärztinnen eher partnerschaftsbildende Mittel anwenden, um tatsächlich auch eine Beziehungsstärkung zu erreichen. Dass gerade der Aspekt Beteiligung von Patientinnen und Patienten, gemeinschaftliche Entscheidungsfindung, dass das in Gesprächen von Ärztinnen häufiger vorkommt.

Das beeinflusst natürlich auch das Verhalten von Patientinnen und Patienten. Dabei muss ich sagen, ich habe wirklich auch von mir hochgeschätzte männliche Kollegen und weiß, dass die gerade in der Onkologie eine fantastische Arbeit machen und glaube ich auch sehr Patientinnen und Patienten zentriert agieren. Und deshalb ist man natürlich immer ein bisschen vorsichtig damit. Aber an der einen oder anderen Stelle muss man sicherlich auch noch mal genauer hingucken, was Ausbildungskonzepte vielleicht auch zusätzlich berücksichtigen müssen.

Dr. Carola Göring: Und da könnten sich vielleicht einige männliche Ärzte auch ein Beispiel an ihren weiblichen Kolleginnen nehmen.

Prof. Dr. Anne Letsch: Gemischte Teams sind immer erfolgreicher, und das ist glaube ich, gut, wenn man immer wieder auch von unterschiedlichem Temperament und Sichtweisen profitiert und sich da gut ergänzt … das kann man nicht alleine. Dafür sind auch die Herausforderungen zu komplex. Und das betrifft nicht nur Geschlechterunterschiede unter den Ärztinnen und Ärzten, sondern wir haben natürlich auch viele weitere Berufsgruppen, die eine Rolle spielen. Da ist die onkologische Fachpflege, da haben wir nach wie vor natürlich einen erheblichen Überschuss an Frauen, die dort tätig sind. Wir haben Psychoonkologie, wir haben Physiotherapie und all das spielt eine Rolle.

Und ich glaube, wir sehen aber auch, dass so Patientinnen und Patienten sich auch die für sie richtigen Ansprech- und Vertrauenspersonen in so einem Behandlungsprozess häufig rauspicken. Und wenn wir merken, das passt irgendwie nicht. Ich glaube, dann haben wir auch alle immer kein Problem, auch tatsächlich mal Patientinnen und Patienten abzugeben oder zu tauschen und zu sagen, da komme ich irgendwie an meine Grenzen, jetzt bist du mal dran und deshalb ist es toll, wenn man sich da im Team tatsächlich ergänzen kann.

Prof. Dr. med. Letschs Zugang zur Gendermedizin

Dr. Carola Göring: Auch noch ein ganz wichtiger Aspekt. Wir kommen jetzt langsam zum Schluss. Und wie immer zum Schluss stelle ich noch eine persönliche Frage: Wie sind Sie denn eigentlich auf das Thema Geschlechter-sensible Medizin gekommen und was motiviert Sie, dabei zu bleiben?

Prof. Dr. Anne Letsch: Also mir sind diese Unterschiede aufgefallen und ich habe gemerkt, dass das aber nicht allen so geht und wir doch vielfach eine Ignoranz für dieses Thema haben. Im Englischen gibt es dieses schöne Wort vom „unconcious bias“, also wir wir machen eine unterschiedliche Behandlung, ohne es eigentlich zu merken. Und da war tatsächlich der ESMO Workshop 2018, den wir zu diesem Thema in Lausanne hatten, für mich noch nochmal sehr bereichernd und augenöffnend, wie viele Dimensionen dieses Thema tatsächlich hat. Und deshalb denke ich, dass es wichtig, dass wir das über verschiedenste Disziplinen tatsächlich in der Medizin auch weiterdenken und verfolgen.

Dr. Carola Göring: Und jetzt wirklich die allerletzte Frage. Wagen Sie noch einen Ausblick? Wo steht die geschlechtersensible Onkologie in 10 Jahren?

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, ich hoffe, dass wir nicht nur für eine Erkrankung, sondern für viele Tumorerkrankungen dann geschlechtsspezifische Therapiekonzepte haben und das als einen weiteren Faktor der Individualmedizin einbeziehen.

Dr. Carola Göring: Ja, wunderbar. Vielen Dank, Frau Professor Letsch, für diese vielen, vielen, vielen Informationen zu den Geschlechteraspekten in der Onkologie und in der Hämatologie, die ja die Biologie betreffen. Die Hormone betreffen das soziale Geschlecht, betreffen eben das Arzt Patienten Verhältnis, das Ärztin Patientinnen Verhältnis, wie immer die Geschlechter da gemischt sind. Und ich finde es auch super, dass sie noch so viel über die Palliativmedizin erzählt haben und auch wirklich so viele praktische Kommunikationstipps. Vielen, vielen Dank!

Prof. Dr. Anne Letsch: Ja, ich danke, dass Sie dieses Thema hier in den Fokus gerückt haben und mir hat das Gespräch auch sehr viel Spaß gemacht. Dankeschön!

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Quelle: journalmed.de


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