Donnerstag, 18. April 2024
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Mangelernährung: Sollte Screening zur klinischen Routine werden?

Mangelernährung: Sollte Screening zur klinischen Routine werden?
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Menschen, die wegen akuter oder chronischer Erkrankungen in der Klinik behandelt werden müssen, sind häufig in keinem guten Ernährungszustand. Krebserkrankungen, Entzündungen, Krankheiten der Verdauungsorgane, aber auch Nebenwirkungen von Medikamenten können den Appetit oder die Nährstoffaufnahme so stark beeinträchtigen, dass Mangelzustände drohen. Ein Screening auf Mangelernährung sowie – bei Bedarf – eine individuelle ernährungsmedizinische Begleitung sollten daher feste Bestandteile der klinischen Behandlung sein, fordert die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM). Nachdruck wird dieser Forderung durch eine aktuelle Übersichtsarbeit verliehen, die in der Fachzeitschrift Lancet erschienen ist und einmal mehr belegt, dass eine gezielte Ernährungstherapie die Heilungs- und sogar die Überlebenschancen der Betroffenen wesentlich steigern kann.

Mangelernährung bedeutet nicht zwingend Untergewicht

Deutschland ist ein wohlhabendes Land, in dem Übergewicht ein deutlich größeres Problem darstellt als Untergewicht. Vielleicht gerade deshalb wird die Häufigkeit, mit der Klinikpatient:innen an einer Mangelernährung leiden, noch immer unterschätzt. Das aktuelle Körpergewicht ist nämlich nicht der einzige Faktor, an dem sich eine drohende Mangelernährung ablesen lässt – und längst nicht alle mangelernährte Patient:innen sind auch untergewichtig. „In die Bewertung des Ernährungszustandes sollte auch die Gewichtsentwicklung der vergangenen Tage oder Wochen, das aktuelle Essverhalten sowie der Allgemeinzustand der Patient:innen einfließen“, sagt Prof. Dr. oec. troph. Dr. med. Anja Bosy-Westphal, Leiterin der Abteilung Humanernährung an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Präsidentin der DGEM. Besonders ein plötzlicher und unbeabsichtigter Gewichtsverlust gelte als bedenklich.
 
 

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Validiertes Screening bei stationären Patient:innen deckt Mangelernährung auf

Validierte Screeninginstrumente, wie die DGEM und internationale Fachgesellschaften sie empfehlen, beziehen darüber hinaus auch die Schwere der Krankheit mit ein – denn wer das Bett nicht verlassen kann oder gar auf der Intensivstation behandelt werden muss, ist noch einmal stärker von Mangelernährung bedroht als Menschen, die durch ihre Erkrankung weniger stark eingeschränkt sind. „Ein solches Screening nimmt nur wenige Minuten in Anspruch und sollte spätestens innerhalb von zwei Tagen nach jeder stationären Neuaufnahme vorgenommen werden“, so Bosy-Westphal. Verschiedene US-amerikanische und europäische Studien hätten gezeigt, dass bis zu einem Drittel der stationären Patientinnen und Patienten von Mangelernährung bedroht sei; diese sollten in einem zweiten Schritt genauer untersucht werden, um die Verdachtsdiagnose zu erhärten oder zu verwerfen. Spätestens in dieser Phase sollten die Betroffenen auch einem Ernährungsmediziner oder einer Ernährungsmedizinerin vorgestellt werden.

Mangelernährung kann viele Gründe haben

Die Ursachen für eine Mangelernährung sind vielfältig – mangelnder Appetit aufgrund von Schluckbeschwerden, Übelkeit, hormonellen Störungen, Entzündungen oder Therapie-Nebenwirkungen können ebenso zugrunde liegen wie ein erhöhter Energieverbrauch, Verdauungsstörungen mit verminderter Nährstoffaufnahme oder ein hormonell, durch Immunprozesse oder durch Bettlägerigkeit gesteigerter Muskelabbau. „Entsprechend unterschiedlich kann auch der individuelle Nährstoffbedarf sein“, sagt Bosy-Westphal. In einem Ernährungsplan werde deshalb detailliert festgehalten, wie viel Kalorien, Mikronährstoffe und insbesondere wie viel Eiweiß der Patient oder die Patientin benötigt. „Im Idealfall können diese Ernährungsziele mithilfe von Mahlzeiten, Snacks und proteinreichen Shakes erreicht werden, die den Vorlieben des Patienten angepasst sind“, so die DGEM-Vorsitzende weiter. Bei speziellen Indikationen müsse unter Umständen aber auch eine (zusätzliche) Ernährung per Magensonde oder gar einer Infusion in Betracht gezogen werden.

Individuelle zusammengestellte Kost für stationäre Patient:innen reduziert Sterberisiko

Dass eine individuelle ernährungsmedizinische Betreuung die Genesung von Klinikpatienten wirksam unterstützt, ist mittlerweile durch eine Vielzahl von Studien belegt – der von einem internationalen Autorenteam verfasste Lancet-Artikel gibt hier einen Überblick. Als besonders große und aussagekräftige Studie greift Professor Dr. med. Diana Rubin, Leiterin des Vivantes-Zentrums für Ernährungsmedizin in Berlin und Vorstandsmitglied der DGEM, die sogenannte EFFORT-Studie aus der Schweiz heraus, an der über 2.000 Patienten teilgenommen haben. Während die eine Hälfte mit dem regulären Klinikessen versorgt wurde, erhielt die andere Hälfte eine nach ernährungsmedizinischen Kriterien individuell zusammengestellte Kost. Während des Klinikaufenthalts wurde die Einhaltung des individuellen Speiseplans von geschulten Diätassistentinnen und -assistenten überprüft, bei der Entlassung bekamen die Teilnehmenden zudem einen Ernährungsplan für zu Hause mit. „Dieser Aufwand ist hoch, aber er lohnt sich“, sagt Rubin. Denn in der ernährungsmedizinisch betreuten Gruppe war das Risiko für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und auch das Sterberisiko deutlich niedriger. Außerdem fühlten sich die Teilnehmer im Vergleich zu den regulär versorgten fitter und bewerteten ihre Lebensqualität als höher.

DGEM fordert mehr Aus- und Weiterbildung in der Ernährungsmedizin

„Gutes Essen ist von zentraler Bedeutung für Wohlbefinden und Lebensqualität. Das gilt unumstritten für Gesunde – noch viel mehr muss es für Menschen gelten, die mit einer Krankheit zu kämpfen haben“, sagt Rubin. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müsse die ernährungsmedizinische Expertise an den Krankenhäusern deutlich gestärkt werden. Ein wichtiges Anliegen der DGEM ist es daher, die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Ernährungsmedizin zu intensivieren und so für den dringend benötigten qualifizierten Nachwuchs zu sorgen.

Quelle: DGEM



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