Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose): Hormonmangel mit systemischen Folgen
Nina HaußerEine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) kommt bei bis zu 5% der Bevölkerung vor und ist somit eine relativ häufige Stoffwechselerkrankung. Schätzungsweise ist die Dunkelziffer der Betroffenen höher und es leiden weitere 5% unter einer nicht diagnostizierten Unterfunktion der Schilddrüse. Im Allgemeinen ist die Hypothyreose eine sehr gut behandelbare Erkrankung, die sich mit Medikamenten und ärztlichen Untersuchungen kontrollieren lässt.
Wie funktioniert die Schilddrüse?
Die Schilddrüse ist eine essenzielle endokrine Drüse, die eine zentrale Rolle im Stoffwechsel, Wachstum und der Entwicklung des menschlichen Körpers spielt. Sie liegt ventral am Hals, unterhalb des Kehlkopfes. Ihre beiden Lappen umschließen die Trachea und sind durch den Isthmus verbunden. Die Schilddrüse produziert drei Hormone: Triiodthyronin (T3), Thyroxin (T4) und Calcitonin. Während T3 und T4 als eigentliche Schilddrüsenhormone fungieren, wird Calcitonin von den C-Zellen synthetisiert und reguliert den Calcium- und Knochenstoffwechsel. Die Hormonproduktion unterliegt einer präzisen hypothalamo-hypophysären Regulation. Die Hypophyse steuert über das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH) die Freisetzung von Schilddrüsenhormonen.
T3 und T4 erhöhen den Grundumsatz und stimulieren die zelluläre Aktivität im gesamten Organismus. Diese metabolische Aktivierung manifestiert sich in verschiedenen physiologischen Prozessen und macht die Schilddrüse zu einem zentralen Regulator der Körperhomöostase. Für die Hormonsynthese ist Jod als essenzielles Spurenelement unerlässlich. Da der Körper Jod nicht selbst produzieren kann, muss es über die Nahrung zugeführt und im Darm resorbiert werden, bevor es zur Schilddrüse transportiert wird.
Was ist eine Schilddrüsenunterfunktion?
Hypothyreose bezeichnet den pathologischen Zustand eines Schilddrüsenhormonmangels. Unbehandelt kann diese Erkrankung zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen und letztendlich zum Tod führen. Aufgrund der großen Variabilität im klinischen Erscheinungsbild und der meist unspezifischen Symptomatik basiert die Definition der Hypothyreose vorwiegend auf biochemischen Parametern.
Wie häufig ist Hypothyreose und wer ist betroffen?
Weltweite Situation
Die Häufigkeit der manifesten Hypothyreose variiert je nach geografischer Region und verwendeter Definition erheblich. In den USA liegt die Prävalenz zwischen 0-3% und 3-7%, während sie in Europa zwischen 0-2% und 5-3% schwankt. Eine europäische Metaanalyse aus neun Ländern schätzt die Prävalenz undiagnostizierter Hypothyreose, einschließlich manifester und subklinischer Fälle, auf etwa 5%. Eine europäische Metaanalyse (1975-2021) berichtete durchschnittliche Prävalenzen für Hypothyreose von 3,05% mit deutlich höheren Raten subklinischer gegenüber manifester Hypothyreose.
Situation in Deutschland
Nach dem Arzneiverordnungsreport 2019 wurden 1,75 Milliarden definierte Tagesdosen Schilddrüsenhormone verordnet, was darauf hindeutet, dass mindestens 4,8 Millionen Menschen in Deutschland mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden. In der allgemeinärztlichen Versorgung rangiert die „sonstige Hypothyreose“ unter den 20 häufigsten Diagnosen.
Demografische Risikofaktoren
Hypothyreose tritt deutlich häufiger bei Frauen auf – etwa fünfmal häufiger als bei Männern. Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter, insbesondere bei Personen über 65 Jahren. Auch Schwangere und Menschen mit Autoimmunerkrankungen, z.B. Diabetes Typ 1, haben ein erhöhtes Risiko. Ebenso besteht eine genetische Komponente, sodass Familienangehörige mit Schilddrüsenerkrankungen ebenfalls einen Risikofaktor darstellen.
Wie wird die Hypothyreose unterteilt?
Die systematische Klassifikation der Hypothyreose erfolgt primär nach zwei wesentlichen Kriterien, die für die klinische Praxis von entscheidender Bedeutung sind.
Klassifikation nach anatomischer Lokalisation
Primäre Hypothyreose: Sie stellt mit 95% aller Fälle die häufigste Form dar und entsteht durch eine Störung auf Schilddrüsenebene. Charakteristisch sind erhöhte TSH-Werte bei erniedrigten oder noch normalen fT4-Konzentrationen. Diese Form dominiert die klinische Praxis und umfasst die meisten Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion.
Sekundäre Hypothyreose: Sie wird auch als zentrale Hypothyreose bezeichnet und resultiert aus einer Störung auf Hypophysenebene mit unzureichender TSH-Produktion. Laborchemisch zeigen sich normale oder erniedrigte TSH-Werte bei gleichzeitig erniedrigten fT4-Konzentrationen. Diese seltene Form macht nur etwa 1% aller Hypothyreosen aus.
Tertiäre Hypothyreose: Sie entsteht durch eine Störung auf Hypothalamusebene mit TRH-Mangel, ist klinisch schwer von der sekundären Form abgrenzbar und stellt eine sehr seltene Entität dar.
Klassifikation nach Schweregrad
Manifeste/klinische Hypothyreose: Sie ist durch erhöhte TSH-Werte bei erniedrigten fT4-Konzentrationen definiert. Patienten weisen meist eine klinische Symptomatik auf, und eine Behandlungsindikation ist in der Regel gegeben.
Subklinische/latente Hypothyreose: Sie zeigt erhöhte TSH-Werte bei noch normalen fT4-Konzentrationen. Betroffene sind oft asymptomatisch oder klagen über unspezifische Beschwerden. Die Diagnose wird in der Regel bei wiederholter Messung eines TSH-Wertes über 4,0 mU/L bei normwertigem fT4 gestellt. Die Behandlungsindikation bei latenter Hypothyreose muss individuell geprüft werden. Eine generelle Therapieempfehlung besteht derzeit nur bei Patienten ≤ 70 Jahren mit TSH-Werten > 10 mU/L.
Was verursacht eine Schilddrüsenunterfunktion?
Ursachen der Primären Hypothyreose
Jodmangel stellt weltweit die häufigste Ursache der Hypothyreose dar. In Gebieten mit ausreichender Jodversorgung wie den USA und Deutschland ist hingegen die chronische Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis) die führende Ursache.
Hashimoto-Thyreoditis
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste Form der chronischen Autoimmunthyreoiditis und stellt in Regionen mit ausreichender Jodversorgung die Hauptursache der primären Hypothyreose dar.
Pathophysiologie
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist pathologisch durch eine chronische lymphozytäre Infiltration der Schilddrüse mit sensibilisierten T-Lymphozyten charakterisiert. Das Schilddrüsengewebe wird zunehmend durch Bindegewebe ersetzt, was zu einer progressiven Funktionseinschränkung führt. Serologisch manifestiert sich die Erkrankung durch zirkulierende Schilddrüsen-Autoantikörper. Die Autoimmunität gegen die Schilddrüse scheint auf einem vererbten Defekt der Immunüberwachung zu beruhen, der zu einer abnormalen Regulation der Immunantwort oder Veränderung der Antigenpräsentation in der Schilddrüse führt.
Diagnostische Antikörper
Schlüssel zur Diagnose ist der Nachweis erhöhter Anti-Schilddrüsen-Antikörper:
Anti-Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO): Bei 90% der Patient:innen mit Hashimoto-Thyreoiditis erhöht
Anti-Thyreoglobulin-Antikörper: Bei 70% der Patient:innen erhöht
TSH-Rezeptor-Antikörper (TSHRAb): Seltener, können als TSH-Agonist oder -Antagonist wirken
Das Vorliegen erhöhter TPOAb-Titer bei subklinischer Hypothyreose hilft, die Progression zur manifesten Hypothyreose vorherzusagen. Dieses erhöhte Progressionsrisiko ist der Grund, warum mehrere Fachgesellschaften die Messung von TPOAb bei Patient:innen mit subklinischer Hypothyreose befürworten.
Ursachen der Zentralen Hypothyreose
Die zentrale Hypothyreose entsteht durch defekte Schilddrüsenhormonproduktion aufgrund unzureichender TSH-Stimulation einer ansonsten normalen Schilddrüse. Sie resultiert aus anatomischen oder funktionellen Störungen der Hypophyse (sekundäre Hypothyreose) oder des Hypothalamus (tertiäre Hypothyreose). Erbliche Erkrankungen sind die Hauptursache bei Neugeborenen, während expansive Läsionen der hypothalamo-hypophysären Region, Schädel-Hirn-Traumata, vaskuläre Ereignisse und iatrogene Mechanismen die häufigsten Ursachen der erworbenen Form darstellen.
Iatrogene Ursachen
Radiojodtherapie oder chirurgische Behandlung bei Hyperthyreose, Schilddrüsenkrebs oder benignen Knotenerkrankungen
Externe Bestrahlung bei nicht-schilddrüsenbezogenen Kopf-Hals-Malignomen
Medikamentöse Therapie, u.a. mit: Lithium, Interferon-alpha, Amiodaron, Tyrosinkinase-Inhibitoren, übermäßige Jodzufuhr
Welche Symptome treten bei einer Hypothyreose auf?
Die charakteristischen Anzeichen und Symptome der Hypothyreose sind typischerweise subtiler als die der Hyperthyreose. Zu den häufigsten Manifestationen gehören:
Trockene Haut
Kälteintoleranz
Fatigue und Müdigkeit
Muskelkrämpfe
Haarausfall
Heiserkeit und tiefere Stimmlage
Obstipation
Wie wird eine Hypothyreose diagnostiziert?
Basisdiagnostik
Die Diagnose der Hypothyreose basiert primär auf der Bestimmung der Schilddrüsenhormone. TSH fungiert als zentraler Marker für Schilddrüsenfunktionsstörungen und sollte als Erstlinienparameter bestimmt werden. Bei erhöhten TSH-Werten ist die zusätzliche Messung des freien Thyroxins (fT4) zur Differenzierung zwischen subklinischer und manifester Hypothyreose erforderlich. Die Bestimmung des freien Triiodthyronins (fT3) ist für die Diagnostik der Hypothyreose nicht notwendig, da sie keinen zusätzlichen diagnostischen Nutzen erbringt.
Bei einmalig erhöhten TSH-Werten sollte zur Bestätigung eine Wiederholungsmessung durchgeführt werden, da intraindividuelle Schwankungen von bis zu 40% im Rahmen normaler Variationen auftreten können. Multiple Faktoren können den TSH-Spiegel beeinflussen, darunter Alter, Körpergewicht, Medikamente und akute Erkrankungen.
Autoantikörperdiagnostik
Die Bestimmung von Anti-Thyreoperoxidase-Antikörpern (TPOAb) kann zur ätiologischen Klärung beitragen und hat prognostische Bedeutung für die Progression zur manifesten Hypothyreose. Bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose und positiven TPOAb ist das Risiko einer Progression zur manifesten Form erhöht (4,3% vs. 2,6% pro Jahr).
Bildgebende Diagnostik
Eine routinemäßige Sonographie sollte bei Patienten mit erhöhten TSH-Werten nicht durchgeführt werden. Die Ultraschalluntersuchung ist nur bei palpablen Knoten oder spezifischen klinischen Fragestellungen indiziert.
Wie wird eine Schilddrüsenunterfunktion therapiert?
Das Ziel der Therapie ist die Einstellung des TSH-Wertes im euthyreoten Bereich. Zur Vermeidung iatrogener Hyperthyreose sollte eine TSH-Suppression vermieden werden. Besondere Vorsicht ist bei älteren Patienten geboten, da Überdosierungen zu Arrhythmien und Osteoporose führen können.
Therapieprinzipien
Die Dosierung von Levothyroxin erfolgt altersabhängig und unter Berücksichtigung von Komorbiditäten. Bei jungen Patienten ohne Begleiterkrankungen ist eine sofortige Vollsubstitution möglich und kosteneffektiv, während bei älteren Patienten ab 60 Jahren oder bei Vorliegen kardiovaskulärer Erkrankungen eine niedrigere Initialdosis mit schrittweiser Steigerung empfohlen wird. Spezielle Patientengruppen erfordern angepasste Dosierungsstrategien. Bei latenter Hypothyreose wird eine niedrigdosierte Therapie bevorzugt, während bei adipösen Patienten die Berechnung nach dem fettfreien Körpergewicht erfolgen kann. Nach Schilddrüsenentfernung ist hingegen eine höhere Startdosis erforderlich, um den vollständigen Hormonersatz zu gewährleisten.
Dosisanpassung und Monitoring
Die Dosisanpassung erfolgt individuell und orientiert sich an laborchemischen Schilddrüsenwerten, dem subjektiven Wohlbefinden der Patienten und der klinischen Symptomatik. Eine schrittweise Dosisanpassung in regelmäßigen Intervallen mit Kontrolluntersuchungen alle sechs Wochen bis zur Zielwerterreichung ist erforderlich. Nach Therapiebeginn ist die benötigte Erhaltungsdosis meist geringer als die Initialdosis. Eine kontinuierliche Überwachung ist essentiell, um sowohl Unter- als auch Überbehandlung zu vermeiden und das optimale Gleichgewicht zwischen therapeutischem Nutzen und Nebenwirkungsrisiko zu erreichen.
Indikationen zur endokrinologischen Mitbetreuung
Obwohl die meisten Ärzt:innen eine Hypothyreose diagnostizieren und behandeln können, wird eine endokrinologische Konsultation in bestimmten Situationen empfohlen. Bei speziellen Patientengruppen wie Kindern, Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch ist eine fachspezifische Betreuung aufgrund besonderer Dosierungsanforderungen und entwicklungsspezifischer Aspekte erforderlich. Komplexe klinische Situationen umfassen schwer einstellbare Patienten, kardiale Erkrankungen mit erhöhtem Komplikationsrisiko und strukturelle Schilddrüsenveränderungen. Bei komplexen Endokrinopathien mit begleitenden Nebennieren- oder Hypophysenstörungen, ungewöhnlichen Laborkonstellationen oder seltenen Hypothyreose-Ursachen ist ebenfalls eine spezialisierte Betreuung indiziert. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit gewährleistet eine optimale Patientenversorgung.
Wie kann man einer Hypothyreose vorbeugen?
Die wichtigste präventive Maßnahme zur Verhinderung der Hypothyreose ist die Sicherstellung einer ausreichenden Jodversorgung. Da Jodmangel weltweit die häufigste Ursache der Hypothyreose darstellt, ist die Verwendung von jodiertem Speisesalz die effektivste Populationsstrategie. Die aktuelle Situation in Deutschland mit einem milden Jodmangel unterstreicht die Bedeutung verstärkter Aufklärungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen.
Eine gezielte Überwachung der Schilddrüsenfunktion ist bei Personen mit erhöhtem Hypothyreose-Risiko sinnvoll, z.B. bei Personen mit anderen Autoimmunerkrankungen oder positiver Familienanamnese.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Hypothyreose
Rund um das Thema Hypothyreose stellen sich für Betroffene und Angehörige oft viele Fragen: zur Diagnose, zu Behandlungsmöglichkeiten, zu Nebenwirkungen oder zum Alltag mit der Erkrankung. In dieser Patient:innen-FAQ finden Sie Antworten auf die häufigsten Fragen.
Literatur:
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iQWiG: In brief: How does the thyroid gland work?, abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK279388/
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