Dissertation zeigt Nachholbedarf in Deutschland auf
Für Dr. Jana Bregulla von der Universität Münster kommt dieser Befund wenig überraschend. In ihrer Dissertation fand sie heraus, dass trotz der Brisanz wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen der zahnmedizinischen Versorgung und häuslicher Gewalt untersuchen, rar sind – im deutschsprachigen Raum sogar nicht existent. „Es fehlt den Zahnärzten an grundlegenden Kenntnissen über die Anzeichen häuslicher Gewalt, wie sie entsprechende Fälle richtig dokumentieren, wie sie mit den Opfern kommunizieren und ihnen professionell helfen können“, erklärt die Medizinerin.
Eine zum ersten Mal durchgeführte qualitative Begutachtung der wenigen existierenden Studien zeigt auf, dass einige Länder bereits
Maßnahmen zur Erkennung und Behandlung von Opfern häuslicher Gewalt umsetzen. „Empirische Studien an einer US-amerikanischen zahnmedizinischen Hochschule zeigen beispielsweise auf, dass gezielte Vorlesungsmodule das Wissen der Studierenden über die gesundheitsbezogenen traumatischen Ereignisse vergrößern und ihr Selbstvertrauen bei der Behandlung von Opfern verbessern“, sagt Jana Bregulla, die in der Poliklinik für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien des Universitätsklinikums Münster als Zahnärztin arbeitet. „Für Deutschland sehe ich großen Aufholbedarf – einige der Studien könnten daher als Best-Practice-Beispiele dienen.“
Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen ist entscheidend
Dreh- und Angelpunkt sei die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Zahnärzte hätten oft falsche Vorstellungen von Opfern von Gewalttaten, die meisten hätten keine formale Aus- oder Weiterbildung mit Blick auf häusliche Gewalt erhalten. Das führe oftmals zur Zurückhaltung, Patienten auf ihre Verletzungen anzusprechen. „Um diese Hemmungen abzubauen, wäre es sinnvoll, Rollenspiele, Kommunikations- und Simulationstrainings rund um das Thema häusliche Gewalt im Medizinstudium regelmäßig einzubauen. Das Studienhospital der Universität Münster bietet dazu optimale Lehr- und Lernbedingungen“, findet die 27-jährige Medizinerin und Wissenschaftlerin.
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Bei zahnärztlicher Untersuchung auf Verletzungen im Gesichtsbereich achten
Verletzungen im Gesichtsbereich können auf häusliche Gewalt hinweisen. Charakteristische Verletzungen sind zum Beispiel Zahnabsplitterungen, der Riss des Oberlippenbändchens, Verletzungen der Oberlippe oder Kieferfrakturen. Zahnärzte sind häufig die Ersten, manchmal auch die Einzigen, die die Betroffenen konsultieren. Zwar unterliegen sie einer gesetzlichen Schweigepflicht bei Verdacht auf Gewalttaten. Gleichwohl gebe es Möglichkeiten, aktiv zu werden. Die Zahnärztekammern und die kassenzahnärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe haben einen forensischen Befundbogen entwickelt, der zur fachgerechten und rechtssicheren Dokumentation gewaltbedingter Verletzungen verhilft. „Eine detaillierte Dokumentation kann für die Beweissicherung in einer Gerichtsverhandlung eine entscheidende Bedeutung haben“, betont Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, die die Dissertation betreut hat und schon seit vielen Jahren Projekte und Seminare zum Thema häusliche Gewalt leitet. „Nichts tun sollte niemals eine Option sein.“
Aufnahme der Zahnmedizin im Forschungsprojekt „Victim Protection in Medicine“
Die Forschungslücken, die durch die Dissertation von Jana Bregulla offengelegt wurden, gaben Anlass, die Zahnmedizin in ein neues europaweites Forschungsprojekt mit dem Titel „Victim Protection in Medicine“ (Opferschutz in der Medizin) aufzunehmen. In den kommenden 3 Jahren entwickelt ein Forschungsteam unter der Leitung von Bettina Pfleiderer konkrete Lehrpläne, in denen der Umgang mit häuslicher Gewalt sowohl in die universitäre Lehre für angehende Human- und Zahnmediziner als auch in Fort- und Weiterbildungsprogramme für Ärzte und medizinisches Fachpersonal verankert wird.