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Medizin

Priorisierung und Triage bei COVID-19: DIVI-Empfehlungen aktualisiert

von Dr. rer. physiol. Ute Mayer

Priorisierung und Triage bei COVID-19: DIVI-Empfehlungen aktualisiert
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Aus aktuellem Anlass wurden die klinisch-ethischen Empfehlungen zur Entscheidung über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie überarbeitet. Die wesentlichen Neuerungen der mit den Fachgesellschaften abgestimmten Vorabfassung der aktualisierten AWMF S1-Leitlinie 040-013 vom 23.11.2021 sind, dass der Impfstatus einer/eines intensivpflichtigen Patientin/Patienten bei der Priorisierung keine Rolle spielen darf und die Betonung der Gleichbehandlung von COVID- und Nicht-COVID-Patient:innen.
Zu Beginn der Pandemie wurde am 25.03.2020 die 1. Version der klinisch-ethischen Empfehlungen zur Entscheidung über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Die bedrückenden Bilder aus Bergamo, Italien, hatten den Zusammenbruch eines westlichen Gesundheitssystems erschütternd vor Augen geführt. Deshalb wurden von Expert:innen unterschiedlicher Fachgebiete klare, strukturierte und transparente Empfehlungen für die Priorisierung von Patient:innen bei Ressourcenknappheit formuliert, um für den damals für Deutschland unwahrscheinlichen Fall einer totalen Überlastung des Gesundheitssystems gewappnet zu sein, erklärte Prof. Dr. Uwe Janssens, Past Präsident der der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Sprecher der Sektion Ethik sowie Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin, St.-Antonius-Hospital Eschweiler. „Diese Empfehlungen mussten bis zum heutigen Tag nicht eingesetzt werden“, betonte Janssens. In der inzwischen 4. Welle hat sich die Situation in Deutschland jedoch dramatisch zugespitzt: „Wir kämpfen mit einer immer noch unzureichenden Impfquote, mit der hohen Infektiosität der Delta-Variante, der abnehmenden Schutzwirkung der Impfung bei den zu erst geimpften, vulnerablen Personen und wir kämpfen mit dem substanziellen Verlust der Intensivpflegekräften in den letzten Monaten und den daraus resultierenden Bettenschließungen“, schilderte Janssens die aktuelle Situation. Derweil steigen die Infektionszahlen täglich weiter, sodass in den kommenden Wochen mit täglich hunderten zusätzlichen intensivpflichtigen COVID-19-Patient:innen zu rechnen sei. Angesichts der immer realistischer werdenden Befürchtung, dass nicht mehr alle akut und schwer erkrankte Patient:innen mit und ohne COVID adäquat und qualitativ ausreichend werden versorgt werden können und dann Entscheidungen getroffen werden müssen, wer eine Behandlung erhält und wer nicht, erschien es laut Janssens zwingend erforderlich, die Handlungsempfehlungen aus dem letzten Jahr zu aktualisieren.
 
 

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Der Impfstatus darf kein Entscheidungskriterium für die Priorisierung bei Ressourcenknappheit sein

Im Kern sind die klinisch-ethischen Empfehlungen zu Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie gleich geblieben, stellte Prof. Dr. Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München, klar. „Wenn priorisiert werden muss, dann sollte das nach dem Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht erfolgen, gemessen an der Überlebenswahrscheinlichkeit im Hinblick auf den aktuellen Intensivverlauf“, so Marckmann. Damit werde sichergestellt, dass mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen möglichst viele Menschenleben gerettet werden könnten, da bei diesem Vorgehen allenfalls solche Patient:innen nicht behandelt werden, die trotz Intensivmedizin mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin versterben würden. Den Impfstatus sehen die Expert:innen nicht als zu berücksichtigendes Priorisierungskriterium an, da die ärztliche Hilfspflicht in lebensbedrohlichen Situationen unabhängig davon gilt, wie das Verhalten des Betroffenen vorher war. Marckmann zitierte einen Kollegen mit dem treffenden Satz „Wir sind Retter, keine Richter“. In einer solidarischen Krankenversicherung werde der Zugang zu medizinischen Leistungen nicht davon abhängig gemacht, ob jemand durch sein Verhalten die Erkrankung oder Gesundheitsstörung selbst verursacht habe, führte der Ethiker weiter aus. Als Beispiele nannte er die Behandlung von Verletzungen von Risiksportler:innen, die Lungenkrebsbehandlung von Raucher:innen oder die Behandlung der koronaren Herzerkrankung von Übergewichtigen. Genauso müsse die Corona-Erkrankung von Ungeimpften behandelt werden, da hier nicht sicher sei, auf welcher Informationsgrundlage die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, getroffen wurde, also ob das Verhalten auf einer selbstbestimmten Entscheidung beruhe oder z.B. auf Falschinformationen von Querdenkern. Man müsse bedenken, dass die Impfquoten in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen am niedrigsten seien. „Wenn wir das Kriterium Impfstatus anwenden würden, bekämen wir eine ganz bedenkliche soziale Schieflage beim Zugang zu intensivmedizinischen Ressourcen“, meinte Marckmann.
 
 

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Der Grundsatz der Gleichbehandlung von COVID- und Nicht-COVID-Patient:innen muss gelten

In der Ergänzung der Leitlinie wurde nochmals klargestellt, dass die Gleichbehandlung von COVID- und Nicht-COVID-Patient:innen gelten muss. Wegen der sich aktuell abzeichnenden bzw. bereits eingetretenen Ressourcenknappheit werde zunächst versucht, durch Einschränkungen des Regelbetriebs Kapazitäten für alle zur Verfügung zu stellen, die dringlich intensivmedizinischer Maßnehmen bedürfen, erklärte Prof. Dr. Jan Schildmann, Internist und Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Halle. „Aus ethischer Perspektive ist eine Aufschiebung von Behandlungen unproblematisch, wenn durch die zeitliche Verzögerung keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder der vorzeitige Tod zu erwarten sind“, sagte der Ethiker. Bei der Priorisierung aufgrund intensivmedizinischer Ressourcenknappheit dürfe jedoch keine Patient:innengruppe bevorzugt (COVID-Patient:innen) bzw. benachteiligt (z.B. Tumorpatient:innen) werden, insbesondere auch die nicht, bei denen absehbar sei, dass sie im Verlauf durch die Verschiebung gesundheitlich Schaden nehmen könnten. Als Beispiel führte er an, dass die Verzögerung von Krebstherapien um einen Monat mit einer Erhöhung der Sterblichkeit einher geht. Die außergewöhnlichen Belastungen im Gesundheitswesen dürfen nicht einseitig zur Benachteiligung von Patient:innen ohne COVID-19 gehen, forderte Schildmann.

Forderungen an die Politik in der aktuellen Phase der Pandemie

Marckmann wünscht sich für die Ärzt:innen, die letztlich Entscheidungen über eine Behandlungspriorisierung treffen müssen, eine klare Rückendeckung der Politik, damit sie Rechtssicherheit haben. Janssens richtete warnende und kritische Worte an die Entscheidungsträger der letzten Monate und Wochen, dass jetzt endlich durchgreifend gehandelt werden müsse, und schnellstens einheitliche Maßnahmen für ganz Deutschland eingeleitet werden müssen, die sicherstellen, dass Infektionsketten abbrechen, damit man nicht in die Situation einer Triage kommt.

Quelle: Press-Briefing „Priorisierung und Triage bei COVID-19 der DIVI“, 26.11.2021; Veranstalter: DIVI

Literatur:

https://www.divi.de/joomlatools-files/docman-files/publikationen/covid-19-dokumente/211125-divi-covid-19-ethik-empfehlung-version-3-vorabfassung.pdf



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