Warum manche Menschen trotz Alpha-1-Antitrypsin-Mangel gesund bleiben
Forschende haben im Rahmen einer internationalen Studie herausgefunden, warum ein Teil der Patient:innen mit homozygotem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel trotz Gendefekt keine Symptome entwickelt. Grundlage der Studie war die Analyse von Lebergewebe mithilfe der innovativen Deep Visual Proteomics-Technologie. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Nature veröffentlicht und liefern neue Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen, die eine Leberfibrose verhindern können (1).
Alpha-1-Antitrypsin: Schutzmechanismus mit genetischer Schwachstelle
Alpha-1-Antitrypsin ist ein in der Leber gebildeter Proteaseinhibitor, der die Immunantwort in der Lunge reguliert. Bei einem Gendefekt, der zu einer fehlerhaften Faltung des Proteins führt, kommt es zu einem Mangel – mit potenziell schwerwiegenden Folgen für Leber und Lunge. Die Mutation kann heterozygot (ein Elternteil betroffen) oder homozygot (beide Eltern betroffen) vererbt werden. Während viele heterozygote Träger:innen zeitlebens symptomfrei bleiben, entwickeln bis zu ein Drittel der homozygot Betroffenen schwere Lebererkrankungen – darunter Fibrose oder Lebertumoren. Warum dies so ist, war bislang unklar.
Deep Visual Proteomics als Schlüssel zur Aufklärung
Die nun veröffentlichte Studie untersuchte mithilfe der Methode Deep Visual Proteomics Lebergewebe von Patient:innen mit unterschiedlich schwerem Krankheitsverlauf. Das Verfahren ermöglicht es, auf Einzelzellebene Proteinzusammensetzungen und Zellmorphologien zu analysieren. Dabei zeigte sich, dass frühe Zellreaktionen auf die Proteinfehlfaltung entscheidend sind: In Patient:innen ohne ausgeprägte Fibrose zeigten sich spezifische peroxisomale Reaktionen, die bei schwer Erkrankten fehlten.
Morphologische Marker für Krankheitsprogression identifiziert
Besonders aussagekräftig war die Unterscheidung zweier Formen von Proteinaggregaten in den Leberzellen: krümelförmige, amorphe Aggregate und kompaktere, ballförmige Strukturen. Letztere traten überwiegend bei fortgeschrittener Fibrose auf. Die Studie konnte zeigen, dass die krümelförmigen Aggregate ein früher Zellzustand mit potenziell schützender Funktion darstellen. Entscheidend war der Übergang von der frühen zu einer späteren Morphologie – ein Prozess, der offenbar durch zelluläre Kompensationsmechanismen gesteuert wird.
KI-gestützte Bildanalyse als entscheidender Durchbruch
Ein spezielles Convolutional Neural Network (CNN), ursprünglich für die Objekterkennung trainiert, wurde erfolgreich für die Analyse mikroskopischer Aufnahmen von Leberzellen eingesetzt. Damit gelang es, feinste Unterschiede in den Zellmorphologien zu erkennen und die Progression der Krankheitsverläufe nachzuvollziehen. Die Kombination aus KI-Analyse und hochauflösender Massenspektrometrie markiert einen Meilenstein für die Proteomforschung in der Hepatologie.
Klinisches Potenzial: Frühwarnsystem für Leberfibrose denkbar
Die Erkenntnisse könnten den Weg für neue klinische Anwendungen ebnen. Ziel der Forschenden ist es, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung von Leberfibrose zu etablieren – basierend auf den spezifischen Proteinmustern und Zellreaktionen. So könnten Risikopatient:innen mit symptomlosem Alpha-1-Mangel frühzeitig identifiziert und behandelt werden, bevor irreversible Schäden entstehen.
Quelle:Max-Planck-Institut für Biochemie
Literatur:
- (1)
Rosenberger F. A. et al. (2025) Deep Visual Proteomics maps proteotoxicity in a genetic liver disease, Nature 2025, DOI: 10.1038/s41586-025-08885-4