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Neue Erkenntnisse zur Hirnsteuerung von Bewegungen

„Seit mehr als hundert Jahren ging man davon aus, dass jeder Muskel im Körper über einen festen Punkt in der Hirnrinde gesteuert wird. Die Darstellung dieses sogenannten motorischen Homunkulus, bei dem jedem Körperteil ein Bereich in der Hirnrinde zugeordnet wird, ist jedoch zu simpel und unzureichend„, berichtet Sebastian Walther. Vor zwei Jahren fanden US-amerikanische Forschende mithilfe von hochauflösender Bildgebung heraus, dass sich im Motorcortex spezialisierte Regionen für bestimmte Körperteile mit dazwischenliegenden Bereichen abwechseln [1]. Diese sind nicht für einen einzelnen Muskel zuständig, sondern integrieren die Bewegungsplanung, Koordination und Signale aus dem Körper. Die Steuerung im Gehirn ist demnach kein linearer Aufbau, sondern ein Muster aus „Effektor-Zonen“ und „Integrations-Zonen“.

Integrative Zonen als Ausgangspunkt für Bewegungsstörungen identifiziert

Diese für komplexe Bewegungen zuständigen integrativen Zonen sind höchstwahrscheinlich beteiligt an den Bewegungsauffälligkeiten derr Schizophrenie-Patient:innen. Sebastian Walther formulierte seine Hypothese bereits kurze Zeit später in der medizinischen Fachzeitschrift JAMA Psychiatry [2]. Nun konnte er die funktionelle Organisation des primären motorischen Kortex bei Psychosen und die potenzielle Rolle der Intereffektor-Regionen bei psychomotorischer Verlangsamung in der angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) belegen.

Veränderungen im Motorcortex nur bei verlangsamten Patient:innen

Walther untersuchte mit seinem Team funktionelle MRT-Bilder von 126 Patient:innen mit diagnostizierter Schizophrenie sowie von 43 gesunden Personen. Zunächst konnte er replizieren, was die US-amerikanischen Kolleg:innen zwei Jahre zuvor publiziert hatten. Im zweiten Schritt bildeten die Forschenden den Kontrast und verglichen die funktionelle Konnektivität des Gehirns von Menschen mit Psychose mit der von gesunden Personen. Im dritten Schritt stellten sie Patient:innen, bei denen die Psychomotorik verlangsamt war, denen gegenüber, die keine psychomotorischen Einschränkungen hatten. „Wir haben gesehen, dass die Veränderungen nicht per se mit der Erkrankung Schizophrenie zusammenhängen, sondern nur bei Patientinnen und Patienten zu finden sind, deren Bewegungen verlangsamt sind. Bei ihnen waren die Regionen innerhalb des motorischen Kortex unterschiedlich verknüpft", resümiert Sebastian Walther.

Starker Zusammenhang zwischen Verlangsamung und Hirnveränderungen

Mit seinem Team hat er die Gehirnaktivität zehn Minuten lang im Ruhezustand untersucht und dann analysiert, welche Bereiche des Gehirns miteinander kommunizieren und in den gleichen Frequenzen schwingen. „Hier waren die Unterschiede bereits signifikant„, so Walther. Doch wie stark hängen diese Veränderungen mit dem Verhalten zusammen? „Sehr stark“, antwortet er. „Je stärker die Verlangsamung, desto stärker ist auch die Veränderung im primären motorischen Kortex.“ Die tägliche Bewegungsmenge wurde mit einem Fitnesstracker gemessen, die Feinmotorik mit einem Geschicklichkeitstest, bei dem die Patient:innen eine Münze zwischen ihren Fingern rotieren ließen.

Magnetstimulation als vielversprechende Therapieoption

Doch was bedeuten diese Forschungsergebnisse konkret für Patient:innen? Der Leidensdruck ist groß bei denen, deren Bewegungen und Handlungsplanung stark verlangsamt sind. Pharmakologische Behandlungen gibt es bislang nicht. Hoffnung bietet die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Sebastian Walther hat diese Methode bereits in einer randomisierten, doppelblinden Studie mit Patient:innen mit starker Bewegungsverlangsamung erfolgreich getestet [3]. Bei der TMS werden kurze Magnetimpulse von außen durch den Schädel auf das Gehirn übertragen, um die gestörte Hirnaktivität zu beeinflussen und Netzwerke wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Gruppe, die eine gezielte Magnetstimulation erhielt, wurde deutlich beweglicher und zeigte die größten Verbesserungen, während die anderen Gruppen, die eine Placebo-TMS oder gar keine Behandlung erhielten, kaum Veränderungen zeigten.

Präzisere Therapieansätze für die Zukunft

In der Studie wurde allerdings noch der prämotorische Kortex angesteuert, also ein Bereich weiter vorne im Frontallappen, der Bewegungen plant und koordiniert, bevor sie ausgeführt werden. „Mit den neuen Informationen aus der aktuellen PNAS-Publikation würden wir vielleicht genauer innerhalb des primärmotorischen Kortex auf die Intereffektoren zielen", so Walther. Das wäre ein nächstes Forschungsprojekt. Zur Verstärkung seines Forschungsteams konnte er jetzt die Neurowissenschaftlerin Dr. Stéphanie Lefebvre fürs UKW gewinnen. Die Neurowissenschaftlerin war Postdoc in Walthers Arbeitsgruppe in Bern und ist Letztautorin der aktuellen und wegweisenden PNAS-Publikation.

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Quelle:

Universitätsklinikum Würzburg

Literatur:

(1)

S. Walther et al. (2025) Functional organization of the primary motor cortex in psychosis and the potential role of intereffector regions in psychomotor slowing, Proc. Natl. Acad. Sci., DOI: 10.1073/pnas.2425388122