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Pharmakologische Feinabstimmung als Grundlage individueller ADHS-Therapie

Zum Auftakt gab Prof. Dr. Jeffrey Newcorn (New York, USA) einen Überblick über zentrale Prinzipien eines optimierten Therapiemanagements – von der Auswahl geeigneter Wirkstoffprofile bis zur Dosiseinstellung. Angesichts der Heterogenität der ADHS sei ein personalisiertes Vorgehen unverzichtbar. Entscheidend sei die Auswahl des passenden pharmakologischen Profils, das eine tageszeitlich abgestimmte Symptomkontrolle ermöglicht. Dabei kommen Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien sowohl als Mono- als auch als Kombinationstherapie zum Einsatz.

Bei Behandlungsbeginn empfiehlt sich der Einsatz von Stimulanzien wie Methylphenidat – für Kinder und Jugendliche stehen hierfür sowohl kurz- als auch langwirksame Präparate zur Verfügung. Führt dies nicht zum gewünschten Erfolg, sollte zunächst ein Wechsel innerhalb der Wirkstoffklasse erfolgen, bevor Nicht-Stimulanzien erwogen werden. Erst wenn Stimulanzien keine ausreichende Wirkung zeigen, sei deren Einsatz gerechtfertigt.

Als Maßstab für ein gelungenes Ansprechen gilt eine Verbesserung des Symptom-Scores um 40–50%. Häufig liege eine unzureichende Wirkung an einer zu niedrigen Dosierung, insbesondere bei älteren Patient:innen oder bei veränderter Körpergröße und Gewicht. Dennoch gelte der Grundsatz: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“, auch bei komplexen Verläufen mit Komorbiditäten.

Komorbide Autismus-Spektrum-Störung: häufig erschwerte Diagnosestellung

Wie sich eine individualisierte Therapie im Praxisalltag konkret umsetzen lässt, zeigte Prof. Dr. med. Jan Buitelaar (Nijmegen, Niederlande) anhand von Kindern mit ADHS und komorbider Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Zwischen 25–50% der betroffenen Kinder weisen laut Studien mindestens milde autistische Symptome auf [1-3]. Die Diagnosestellung ist oft erschwert – überlappende Merkmale und das Fehlen standardisierter Instrumente führen leicht zu Fehldiagnosen oder unvollständiger Erfassung. Eine frühzeitige und differenzierte Diagnose beider Störungen ist jedoch essenziell, um gezielte Maßnahmen einleiten zu können.

Der Behandlungsansatz sollte multidisziplinär erfolgen und Psychoedukation, Verhaltenstherapie sowie Pharmakotherapie umfassen. Laut Buitelaar sei eine langsamere Titration angezeigt als bei ADHS ohne ASS. Oft sei eine niedrigere Dosierung bereits ausreichend – dies wirke sich positiv auf die Verträglichkeit aus und verbessere die Therapietreue in dieser sensiblen Patient:innengruppe [4].

Erwachsene mit ADHS und Emotionsregulations-Problemen mehrdimensional therapieren

Prof. Dr. Alexandra Philipsen (Bonn) stellte neue Erkenntnisse zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter vor – insbesondere bei gleichzeitiger emotionaler Dysregulation. Rund 37–40% der Erwachsenen mit ADHS zeigen laut aktueller Studienlage Symptome wie emotionale Labilität, mangelnde Affektkontrolle oder eingeschränkte Emotionssteuerung [5-7]. Eine multimodale Behandlungsstrategie sei hier essenziell. Neben der medikamentösen Therapie sollten auch psychosoziale Faktoren, Lebensstil sowie zwischenmenschliche Beziehungen berücksichtigt werden [8]. Digitale Interventionen könnten dabei eine sinnvolle Ergänzung sein. Die App hiFoon etwa basiert auf Prinzipien der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) und der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Durch ihre modulare Struktur lässt sie sich flexibel in den Alltag integrieren und unterstützt Patient:innen mit eingeschränkter Emotionsregulation effektiv.

Schlafstörungen im Kontext von ADHS: Therapeutisch nicht zu unterschätzen

Die Rolle des Schlafs in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS beleuchtete Prof. Dr. med. Carmen Schröder (Straßburg, Frankreich). Schlafprobleme treten bei 50–74% der betroffenen Kinder auf und sind nicht selten wechselseitig mit der ADHS-Symptomatik verknüpft [9–11]. Studien zeigen: Schlafmangel kann Hyperaktivität und Impulsivität verstärken. Gleichzeitig leiden viele ADHS-Patient:innen unter verlängerten Einschlaflatenzen, morgendlichen Aufwachproblemen und einem insgesamt verschobenen Schlaf-Wach-Rhythmus. Diese Konstellation entspricht häufig einem verzögerten Schlafphasensyndrom.

Schröder sprach sich für ein stufenweises Vorgehen aus: Zunächst sollten Maßnahmen zur Verbesserung der Schlafhygiene – etwa feste Bettzeiten, Einschlafrituale und reizarme Umgebungen – etabliert werden. Die App hiPanya unterstützt Eltern dabei strukturiert. Wenn verhaltensorientierte Maßnahmen nicht ausreichen, kann eine medikamentöse Unterstützung mit schnell freisetzendem Melatonin in Betracht gezogen werden, um den zirkadianen Rhythmus zu stabilisieren [12, 13]. Retardierte Präparate sollten laut Schröder nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine verminderte endogene Melatoninproduktion nachgewiesen ist.

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Literatur:

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Fachinformation Mellozzan®, Stand: 11/2024