Raus aus Schmerzspirale und Einsamkeit
Birgit Frohn Dipl. biol.Millionen Menschen leiden unter ständigen Schmerzen. Die Volkskrankheit verursacht oft doppeltes Leid, körperliches wie seelisches. Viele der Betroffenen sind zu wenig informiert, unterversorgt und fühlen sich allein gelassen. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. will die Situation für Schmerzpatient:innen verbessern. Unter anderem mit dem Aktionstag gegen den Schmerz: Er klärt die Betroffenen umfassend auf und ebnet so die Wege heraus aus der Schmerzspirale.
Schmerzen? Naja, tut halt mal was weh… Falsch: Schmerz wird häufig unterschätzt. Nicht ernst genommen und behandelt, kann er schnell chronisch und zu einer großen Einschränkung im Alltag werden, welche die Lebensqualität erheblich mindert. Wie sehr, das erleben leider viel zu viele von uns.
Schmerzhafte Fakten
Als chronisch werden Schmerzen bezeichnet, wenn sie länger als 3 Monate andauern. Darunter leiden inzwischen rund 23 Millionen Menschen in Deutschland, viele davon jahrelang (1). Das hat laut Professor Dr. med. Frank Petzke, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und Leiter der Schmerzmedizin an der Universitätsmedizin Göttingen, gravierende Folgen für Alltag und Lebensqualität: „Etwa 6 Millionen der Betroffenen haben mit Einschränkungen wie Ängsten, Schlafstörungen und sozialem Rückzug zu kämpfen (1)“. Wird der Schmerz schließlich gar zum beherrschenden Faktor im Leben, liegt eine Schmerzkrankheit vor – rund 2,2 Millionen Bundesbürger sind davon betroffen (1).
Bis die Patient:innen endlich in eine spezialisierte und damit wirksame Schmerzversorgung überwiesen werden, dauert es oft über 2 Jahre (1). Erschwerend kommt hinzu, so Prof. Petzke, „dass solche schmerzmedizinischen Therapieeinrichtungen in Deutschland nicht ausreichend vorhanden und für über die Hälfte der Betroffenen de facto von ihrem Wohnort aus nicht zu erreichen sind“. Das so viele unzureichend behandelt sind, ist unhaltbar: „Jeder Mensch hat ein Recht auf eine angemessene Schmerztherapie“.
„Millionen Schmerzpatienten haben keinen oder keinen zeitlich angemessenen Zugang zu einer ausreichenden Versorgung. Dabei ist der frühe Beginn entscheidend: Je eher gezielt behandelt wird, desto geringer ist das Risiko, dass Schmerzen chronisch werden“.
Schon einmal vom Schmerzgedächtnis gehört?
Dabei handelt es sich um einen fatalen Lernprozess unseres Gehirns. Bekanntlich merkt sich dieses enorm viel – leider auch Schmerzreize. Halten diese länger an, wirken sie direkt auf das Nervensystem ein. Damit werden die weiterleitenden Nervenzellen von Rückenmark und Gehirn sensibler für nachfolgende Schmerzreize. Die Folge dessen ist, dass nun selbst schwache Reize wie leichter Druck als starker Schmerz empfunden werden. Diese Sensibilisierung setzt sich fort ins Rückenmark und Gehirn, was die Empfindlichkeit des Schmerzsystems immer weiter steigert. Die überempfindlichen Nervenzellen leiten dann Schmerzsignale weiter, ohne überhaupt welche empfangen zu haben: Ein blinder Alarm, ausgelöst durch das Schmerzgedächtnis.
Wissen hilft: Zum eigenen Experten werden
Wichtig für Schmerzpatient:innen ist, sich selbst Wissen anzueignen, um die eigene Schmerzerkrankung zu verstehen und so besser managen zu können. Auf der Webseite der Deutschen Schmerzgesellschaft gibt es für Betroffene eine Menge zu finden. Unter anderem auch Flyer zu Gesichts- und Kopfschmerzen, Endometriose, Restless Legs Syndrom oder CRPS, dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom.
Bewegung als Medikament
„Bewegung lindert Schmerzen durch die Ausschüttung körpereigener schmerzlindernder Botenstoffe wie Endorphine. Sie ist Therapie, Vorbeugung und Rückfallprophylaxe zugleich.“ Entsprechend, so Dr. Claus Beyerlein, Physiotherapeut und Diplom-Sportwissenschaftler sowie Vorstandsmitglied Physio Deutschland, weiter „ist Physiotherapie für Schmerzbetroffene unabdingbar“. Auch deshalb, weil sie chronischen Schmerzen vorbeugt, indem sie die Schmerzempfindung positiv beeinflusst und Selbstwirksamkeit sowie Lebensqualität fördert. Also ran an Termine bei der Physiotherapie… Sofern diese nicht ärztlich wird, können und sollten die Betroffenen dies laut Dr. Beyerlein einfordern. Ein Anruf bei der Krankenkasse kann hier weiterhelfen. Der Physiotherapeut empfiehlt zudem, sich von speziell ausgebildeten Schmerzphysiotherapeuten behandeln zu lassen. Inzwischen bieten immer mehr Praxen dies an.
Yoga statt Schmerzmittel
Nicht-medikamentöse Behandlungen spielen gerade bei chronischen Schmerzen eine wichtige Rolle. Ganz oben auf der Liste steht dabei Yoga, denn es bewirkt eine nachhaltige Schmerzlinderung. Zu den Beschwerden, die Yoga wissenschaftlich belegt effektiv bessert, gehören etwa Nacken- und Rückenschmerzen, Hexenschuss, Fibromyalgie sowie Schmerzen bei Kniearthrose und rheumatoider Arthritis (2).
Gemeinsam statt allein
Stigmatisierung am Arbeitsplatz, mangelnde Aufklärung, fehlende Unterstützung… Nicht von ungefähr, so Heike Norda, Vorsitzende der Patientenorganisation SchmerzLOS e.V. „fühlen sich viele Schmerzbetroffene nicht nur körperlich, sondern auch gesellschaftlich im Abseits“. Die Selbsthilfe leistet hier wertvolle Arbeit: „Sie schafft Zugang zu verständlichen Informationen, angemessener Therapie, Anerkennung der Einschränkungen – und Teilhabe“.
Bei NAKOS www.nakos.de, kurz für Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, können Adressen erfragt werden: selbsthilfe@nakos.de sowie 030 – 31 01 89 90.
Hier weitere Links:
SchmerzLOS e.V. www.schmerzlos-ev.de
Migräne Liga e.V. www.migraeneliga.de
Deutsche Rheuma-Liga www.rheuma-liga.de
Fibromyalgie-Liga www.fibromyalgie-liga.de
Aktionstag gegen den Schmerz
Jährlich am ersten Dienstag im Juni bietet die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. mit ihrem Aktionstag konkrete Hilfe an – wohnortnah und verständlich. Schmerzexperten beraten auf Informationsveranstaltungen an 130 Standorten, zudem gibt es eine kostenlose telefonische Patientenhotline.
Online-Pressekonferenz der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. anlässlich des bundesweiten 14. „Aktionstages gegen den Schmerz“ am 3. Juni 2025.
Literatur:
- (1)
Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.
- (2)
Tick H. et al. (2018) Evidence-based nonpharmacologic strategies for comprehensive pain care: the consortium pain task force white paper. Explore 2018; 14(3): 177 – 211, DOI: 10.1016/j.explore.2018.02.001.