Wenn die Nieren mal wieder Steine im Weg haben
Birgit Frohn Dipl. biol.Sie sind zwar klein, können aber großen Ärger im Harntrakt machen. Umso schlimmer, dass Harnsteine hier immer häufiger einen Besuch abstatten: Urolithiasis nimmt zu und ist auf dem Weg zur Volkskrankheit. Denn Lebensstil und zunehmend höheres Alter fordern ihren Tribut. Den unerwünschten Gästen lässt sich jedoch effektiv beikommen. Die zentralen Eckdaten dazu finden Sie in diesem Überblick.
Die Urolithiasis gehört zu den häufigsten urologischen Erkrankungen weltweit. Und ihre Inzidenz steigt permanent. In den letzten zwei Jahrzehnten ließ sich ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen in Deutschland verzeichnen [1]. Das zeigen auch internationale Studien [2, 3].
Zurück zur Steinzeit?
Die Gründe für die stetige Zunahme speisen sich aus unterschiedlichen Quellen. So führt eine bessere Diagnostik durch sensitivere CT und Sonographie in Kombination mit verstärkten Routineuntersuchungen zur Identifikation auch kleinerer oder asymptomatischer Harnsteine [4]. Diese wären früher unerkannt geblieben. Ein weiterer wichtiger Treiber ist die demographische Entwicklung. Denn wie bei so vielen Erkrankungen spielt auch bei der Urolithiasis das steigende Alter eine zentrale ätiologische Rolle. Der mit bedeutendste Faktor für die wachsenden Fallzahlen ist indessen die Lebensweise. So steigert erhöhter Konsum von tierischem Protein, vor allem Fleisch und Milchprodukte, das Risiko. Das Gleiche gilt für salzhaltige Nahrungsmittel. Bewegungsmangel, Übergewicht, metabolisches Syndrom sowie Diabetes begünstigen ebenfalls die Entstehung von Harnsteinen – alles Beschwerden, die kontinuierlich auf dem Vormarsch sind. Auch die im Zuge des Klimawandels steigenden Temperaturen spielen eine Rolle, da sie zu Dehydration führen können.
Multifaktorielle Genese
Zur Urolithiasis kommt es, wenn bestimmte Substanzen im Urin in zu hoher Konzentration vorliegen, auskristallisieren und schließlich aggregieren – in Nieren, Harnleitern oder Blase. Die Ursachen dafür sind ein multifaktorielles Zusammenspiel verschiedener Faktoren; modifizierbar oder nicht-modifizierbar.
Nicht-modifizierbare Risikofaktoren
Dazu gehören das Alter und Geschlecht, denn Männer sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Frauen, sowie genetische Prädisposition (u.a. Zystinurie oder primärer Hyperoxalurismus). Ebenso nicht-modifizierbar sind anatomische Abweichungen wie etwa eine Harnleiterenge und Nierenanomalien. Dies gilt auch für Vorerkrankungen wie vor allem Typ-2-Diabetes, Gicht, häufige Harnwegsinfektionen oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Modfizierbare Risikofakoren
An oberster Stelle stehen hier hoher Konsum von tierischem Eiweiß und Salz, Übergewicht, Bewegungsmangel und zu niedrige Flüssigkeitsaufnahme. Zudem erhöhen bestimmte arzneiliche Wirkstoffe, allen voran Schleifendiuretika, Topiramat und Sulfonamide das Risiko. Hier ist entsprechend eine alternative Medikation anzustreben.
Das „who ist who“ der Urolithiasis: Welche Harnsteine gibt es?
Calcium-Oxalat-Steine: Sie treten oft wiederkehrend mit 70 bis 80% und in jedem Abschnitt des Harntraktes am häufigsten auf und sind bedingt durch überschüssiges Calcium oder Oxalat im Urin, geringe Trinkmenge und Übersäuerung des Harns.
Calcium-Phosphat-Steine: Auf Platz zwei und häufig assoziiert mit Calcium-Oxalat-Steinen sowie alkalischem Urin. Eine Überfunktion der Nebenschilddrüsen und Harnwegsinfektionen sind oft fördernd.
Harnsäuresteine: Sie machen 5 bis 10% der Harnsteine aus und gehen auf übersäuerten Urin sowie Gicht, Adipositas und Typ-2-Diabetes zurück.
Struvit-Steine: Sie treten mit 5 bis 10% häufiger bei Frauen auf und sind assoziiert mit Infektionen der Harnwege durch ureasebildende Bakterien wie Klebsiella oder Proteus.
Zystin-Steine: Sind mit unter 1% sehr selten und bedingt durch Zystinurie.
Ablauf der Diagnostik
Anhand der Anamnese wie starken kolikartigen Schmerzen in den Flanken, die vielfach in Unterbauch und Genitalbereich ausstrahlen, Hämaturie, häufigem und schmerzhaftem Wasserlassen sowie Übelkeit und Erbrechen ergeben sich eindeutige Hinweise. Druckschmerzen beim Abtasten der Flanken (Nierenlager-Tapping) erhärten diese. Im nächsten Schritt erfolgen Laboruntersuchungen von Urin und Blut; unter anderem auf Elektrolyte, Harnsäure, Kalzium, Kreatinin, Leukozyten, Nitrit und Parathormon.
Bildgebende Verfahren
Auf bildgebenden Verfahren liegt der Fokus der Diagnostik, abhängig von der Schwere der Symptome und der Vorerkrankungen. An erster Stelle steht die Sonografie, denn sie kann schnell, mobil und daher überall sowie ohne Strahlenbelastung eingesetzt werden. Die Nachteile der Ultraschalluntersuchung bestehen darin, dass kleine Steine oder Harnleitersteine schwer zu detektieren sind und der Sensitivitätsgrad insgesamt gering ist. Ein Röntgen des Abdomens als weitere einfache, allerdings strahlenbelastete Alternative, macht nur röntgendichte Steine sichtbar. Harnsäureablagerungen lassen sich damit nicht erkennen. Angesichts dessen hat sich das Nativ-CT ohne Kontrast inzwischen als bestes Verfahren etabliert. Denn damit lassen sich mit sehr hoher Sensitivität und Spezifität selbst kleine Steine und deren Lage genau auffinden. Die einst gängige intravenöse Pyelographie, um den Harnabfluss zu zeigen, ist inzwischen angesichts hoher Kontrastmittelbelastung und wenig guter Sensitivität nicht mehr üblich.
Mitunter ist eine Spezialdiagnostik erforderlich
Bei Rezidiven und seltenen Harnsteinen ist eine Spezialdiagnostik angezeigt. Sie umfasst eine Analyse der chemischen Zusammensetzung des Steins sowie eine Stoffwechseldiagnostik. Hierzu wird 24-Stunden-Sammelurin auf Calcium, Oxalat, Harnsäure und Citrate untersucht. Bei Verdacht auf eine Zystinurie oder seltene Stoffwechselerkrankungen sollten genetische Tests durchgeführt werden.
Das Spektrum der Therapieoptionen
Dieses ist breitgefächert, da die Behandlung abhängig von Größe, Lage und Zusammensetzung der Steine ist. Zudem spielen Grunderkrankungen eine Rolle bei der Therapieentscheidung. Hier eine Übersicht gemäß der aktuellen Leitlinien der DGU und der EAU.
Bei akuter Harnsteinkolik
Als Erstlinientherapie gegen die Schmerzen werden NSAID wie Ibuprofen oder Diclofenac empfohlen. Bei starkem Schmerzgeschehen können unter Umständen auch Opiate eingesetzt werden. Spasmolytika wie etwa Butylscopolamin können die Kolik zusätzlich lindern. Um den Harnfluss zu fördern, sollte eine orale oder intravenöse Flüssigkeitssubstitution erfolgen. Ferner müssen die Nierenfunktion und die Laborwerte auf Infektionen geprüft werden.
Maßnahmen zur Förderung eines Spontanabgangs
Bei kleinen Harnsteinen unter 5 mm im distalen Ureter, ohne Infekt und bei intakter Nierenfunktion kann zur Förderung des Spontanabgangs die Flüssigkeitszufuhr erhöht werden. Eine Schmerztherapie wie oben erwähnt ist zudem erforderlich. Eine medikamentöse Steinexpulsions-Therapie (MET) mit Alpha‑Blockern wie Tamsulosin kann den Abgang erleichtern.
Offene oder laparoskopische Operationen
Diese sind inzwischen nur noch selten nötig; etwa bei sehr großen Harnsteinen oder Anatomieanomalien. Inzwischen haben sich die deutlich verträglicheren minimalinvasiven Therapien etabliert, denen daher ein eigener Abschnitt gewidmet ist.
Minimalinvasive Therapieverfahren
Hierzu gibt es verschiedene wirksame Optionen, je nach Art, Anatomie und Lage der Harnsteine.
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL)
Sie eignet sich für Harnsteine unter 2 cm, die idealerweise im Nierenkelch oder im mittleren proximalen Ureter liegen. Der Vorteil ist, dass sie ambulant und sehr schonend durchgeführt werden kann. Demgegenüber steht, dass die ESWL abhängig von der Steinart mehrere Behandlungen erfordert und es häufig Steinreste, sogenannte Residualsteine gibt. Fazit: Ideal für kleinere, weiche Steine bei guter Anatomie.
Ureterorenoskopie (URS)
Sie empfiehlt sich für größere, über 1 cm große oder harte Steine im Harnleiter und erfolgt durch Laserzertrümmerung. Die Erfolgsquote liegt bei über 90%. Zudem ermöglicht die flexible URS den Zugang zu fast allen Nierenkelchen. Der Nachteil ist, dass sie einen kurzen Krankenhausaufenthalt oder einen ambulanten Eingriff unter Narkose erfordert. Zudem birgt die URS ein geringes Risiko für Verletzungen des Ureter. Fazit: Beste Option bei mittleren bis großen harten Steinen.
Perkutane Nephrolithotomie (PCNL)
Ihre Indikation sind über 2 cm große Steine im Nierenbecken. Sie werden per Laser oder Ultraschall und einer minimalinvasiven Hautpunktion zertrümmert. Die PCNL ist sehr effektiv bei großen Steinen. Allerdings erfordert sie, obwohl minimalinvasiv, einen Krankenhausaufenthalt. Zudem kann es zu Komplikationen wie Blutungen und Infekten kommen. Fazit: Methode der Wahl für große oder komplexe Harnsteine.
Metaphylaxe: zentraler Baustein des Managements
Der gezielten Metaphylaxe kommt ein enormer Stellenwert zu. Denn bei 40-60% der Patient:innen kommt es binnen fünf Jahren zu einem Rezidiv, sofern diese Maßnahmen unterbleiben [5]. Beim Vorliegen mehrerer Risikofaktoren zugleich ist die Rezidiv-Rate sogar noch höher [6]. Um das Risiko für Rezidive signifikant zu senken, sollte die Metaphylaxe gemäß den EAU- und DGU-Leitlinien Folgendes beinhalten:
Basismaßnahmen für alle Betroffenen
Ausreichende Flüssigkeitszufuhr: Den wissenschaftlich belegt stärksten Präventionseffekt hat eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr, da diese die Konzentration steinbildender Substanzen im Harn reduziert. Empfohlen werden 2,5 bis 3 Liter täglich, um pro Tag eine Urinmenge von 2 bis 2,5 Liter zu erreichen. Auf Softdrinks und Alkohol sollte verzichtet werden.
Bewusste Ernährung: Der Salzkonsum sollte unter 5 Gramm täglich gesenkt werden, um die Ausscheidung von Calcium im Urin zu reduzieren. Dennoch sollte die Zufuhr des Mineralstoffes bei 1000 bis 1200 mg pro Tag liegen. Tierisches Eiweiß aus Fleisch und Wurstwaren sollte nur in geringen Mengen verzehrt werden, da dies die Harnsäurelast senkt. Auch Lebensmittel mit hohem Oxalatgehalt wie Spinat, Nüsse oder Rhabarber sollten nur in Maßen konsumiert werden. Ansonsten empfiehlt sich jedoch der reichliche Verzehr von Gemüse und Obst, denn diese liefern Citrate, die kristallhemmend wirken.
Gewichtskontrolle und ausreichend Bewegung: Übergewicht sollte abgebaut werden, da eine Normalisierung des BMI das Risiko senkt. Körperliche Aktivität sollte gefördert werden, da sie das Stoffwechselgleichgewicht unterstützt.
Spezifische Maßnahmen je nach Steintyp
Calcium-Oxalat-Steine: Bei Hyperkalzurie kann durch Thiazid-Diuretika die Ausscheidung von Calcium gesenkt werden. Bei Hyperoxalurie sollte Oxalat strikt gemieden und Kalziumgaben zu den Mahlzeiten erwogen werden.
Calcium-Phosphat-Steine: Der pH-Wert im Urin sollte nicht zu alkalisch sein. Bei Hyperkalzurie empfehlen sich Thiazide.
Harnsäuresteine: Der Urin sollte mit Kaliumcitrat oder Natriumbicarbonat alkalisch gehalten werden, wobei ein idealer pH-Wert zwischen 6,2 und 6,8 liegt. Eine purinarme Ernährung ist empfehlenswert und bei Hyperurikämie sollte Allopurinol eingesetzt werden.
Struvitsteine: Infekte der Harnwege konsequent therapieren.
Zystinsteine: Flüssigkeitszufuhr auf mehr als 3 Liter täglich steigern und Urin alkalisch auf über 7,5 pH halten. Bei Therapieresistenz D-Penicillamin oder Tiopronin.
Regelmäßige Kontrolle
Im Abstand von sechs bis zwölf Monaten sollten Kontrolluntersuchungen mit Urinanalysen und Ultraschall erfolgen. Bei wiederholten Rezidiven empfiehlt sich ein 24-h-Sammelurin-Test um eine gezielte Stoffwechseltherapie einzuleiten.
Quelle:Vorträge im Rahmen des 77. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) vom 17. bis 20.9.2025 sowie DGU-Forum „Urolithiasis – Zurück zur Steinzeit“ am 19.09.2025 in Hamburg.
Literatur:
- (1)
Hesse A et al. (2000) Study on the prevalence and incidence of urolithiasis in Germany comparing the years 1979 vs. 2000, European Urology, DOI: 10.1016/s0302-2838(03)00415-9
- (2)
Benjamin W et al. (2023) An analysis of stone management over the decade before the COVID-19 pandemic in Germany, France and England, BJUI International, DOI: 10.1111/bju.16018
- (3)
Urolithiasis Collaborators (2021) The global, regional and national burden of urolithiasis in 204 countries and territories, 2000 – 2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. The Lancet, DOI: 10.1016/j.eclinm.2024.102924
- (4)
Schönthaler M. (2023) Bildgebung bei Urolithiasis. Die Urologie. DOI: 10.1007/s00120-023-02193-3
- (5)
S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis, abrufbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/043-025
- (6)
Vilapurathu al. (2025) A comprehensive investigation of the prevalence and risk factors associated with renal calculi in Southern India: A prospective study. Urological Science, DOI: 10.1097/us9.0000000000000054