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Gesundheitspolitik

Verstehen wollen, nicht verurteilen

Am Auftakt nimmt auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) teil. Die designierte Vorsitzende der Kommission, die CDU-Abgeordnete Franziska Hoppermann, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir wollen Entscheidungen und Prozesse kritisch hinterfragen, die im Lichte der Zeit womöglich Sinn ergaben, sowie Fehler identifizieren. Wir wollen aber auch schauen, was gut war.“ Dabei gelte: „Wir wollen verstehen, nicht verurteilen.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits zuvor formuliert: „Aufarbeitung schafft die Chance, Menschen zurückzugewinnen, die Vertrauen in die Demokratie verloren haben.“

Warum kommt jetzt eine große Aufarbeitung?

In der vorigen Wahlperiode, gleich nach der akuten Krise, kam eine Auswertung der Schutzmaßnahmen mit Masken, Tests und Schließungen auf Bundesebene nicht zustande. Diskutiert wurde auch über einen Bürgerrat, die Ampel-Koalition einigte sich aber nicht. Das neue Bündnis aus Union und SPD vereinbarte dann eine Enquete-Kommission. Der Einsetzung stimmten im Juli im Bundestag auch Grüne und Linke zu. Bei der AfD gab es Nein-Stimmen und Enthaltungen.

Was ist das große Untersuchungsziel?

Trotz vieler Untersuchungen etwa auch in den Bundesländern hätten viele den Eindruck, die Pandemie sei noch nicht ausreichend aufgearbeitet, heißt es im Einsetzungsantrag. Eine umfassende, wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung auch des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns sei aber unerlässlich, um belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Leitend solle dabei sein, „dass alle Maßnahmen und Entscheidungen immer nur vor dem Hintergrund des Informationsstands zum betreffenden Zeitpunkt bewertet werden können“.

Was ist eine Enquete-Kommission?

Das französische Wort „enquête“ bedeutet Untersuchung. Im Bundestag sind Enquete-Kommissionen ein Format für große, komplexe Themen, und es gab schon einige - etwa zur künstlichen Intelligenz oder zu Lehren aus dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die neue Kommission heißt: „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“. Die Pandemie habe Bürger, Zivilgesellschaft, Institutionen, Unternehmen, Kunst und Kultur von 2019 bis 2023 mit Herausforderungen „von historischer und seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannter Tragweite“ konfrontiert, heißt es im Antrag.

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Wie ist die Zusammensetzung?

Neben 14 Abgeordneten sollen der Kommission 14 Sachverständige angehören. Die Union schickt fünf Abgeordnete, AfD und SPD schicken je drei, die Grünen zwei, die Linke stellt einen Abgeordneten. Bei den Expert:innen soll auf eine Beteiligung der Länder und Kommunen und eine ausgewogene Vertretung von Wissenschaftsdisziplinen und Gesellschaftsbereichen geachtet werden.

Und was soll konkret untersucht werden?

Beleuchtet werden soll eine Reihe von Aspekten: Die Früherkennung mit Pandemieplänen und Vorsorge; das Krisenmanagement mit den Bund-Länder-Runden der Ministerpräsidentenkonferenz, Krisenstäben und der Einbindung wissenschaftlicher Expertise; der rechtliche Rahmen und die parlamentarische Kontrolle; die Maßnahmen gegen die Virus-Ausbreitung mit Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, Ältere und Sterbende. Und außerdem Impfungen und das Beschaffen von Schutzausrüstung wie Masken und Tests; Hilfen für Firmen und den Arbeitsmarkt; Folgen für Kultur, Tourismus, Ehrenamtler und Vereine.

Wie sieht die Arbeitsweise aus?

Die Kommission tritt zunächst nicht-öffentlich zusammen. Prinzipiell soll sie auch öffentliche Anhörungen von Expert:innen, Interessenvertreter:innen und Betroffenen abhalten und Gutachten einholen können. Perspektiven und Erfahrungen von Bürger:innen könnten „insbesondere durch öffentliche Formate einbezogen werden“, heißt es im Antrag. Auch eine „altersgerechte Befragung“ von Kindern und Jugendlichen ist möglich. Die „laufende Erkenntnisgewinnung“ und Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit in geeigneter Form zugänglich gemacht werden - mit Berücksichtigung besonders schutzbedürftiger Informationen.

Wann kommt der Abschlussbericht?

Die Kommission soll dem Bundestag bis zum 30. Juni 2027 einen umfassenden Abschlussbericht mit Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen vorlegen. Es kann auch Zwischenberichte zu abgeschlossenen Aspekten geben, was eine frühere parlamentarische und politische Befassung ermöglichen soll. Mitglieder der Kommission können Sondervoten abgeben. Am Ende veröffentlicht werden sollen Protokolle der Sitzungen, wenn das Gremium nicht-öffentlich getagt hat.

Warum gibt es keinen Untersuchungsausschuss?

Grüne und Linke tragen die Enquete-Kommission mit, auch wenn sie daneben einen Untersuchungsausschuss zu umstrittenen Maskenkäufen des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) zu Beginn der Pandemie wollen. Die beiden Oppositionsfraktionen haben dafür aber allein nicht genug Stimmen und riefen die schwarz-rote Koalition vergeblich zu Unterstützung auf. Die AfD forderte einen U-Ausschuss für eine „schonungslose“ Aufarbeitung der ganzen Corona-Zeit. Grüne und Linke lehnen ein gemeinsames Vorgehen aber strikt ab.

Quelle:

dpa