Donnerstag, 18. April 2024
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Medizin

Schlaganfall: Vom Nihilismus zur Intervention

von Susanne Morisch

Schlaganfall: Vom Nihilismus zur Intervention
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Anlässlich des heutigen Welt-Stroke-Days berichteten namhafte Schlaganfallexperten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft über den aktuellen Stand in der Behandlung und Nachsorge des Schlaganfalls. Im Fokus: Die Aktualisierung der Leitlinien, Stroke Units und die telemedizinische Versorgung.

Stroke Units entscheidend bei der Verhinderung von Komplikationen

Während vor 30 Jahren noch kaum Behandlungsmöglichkeiten bestanden, ist der Schlaganfall heute sehr gut behandelbar. Die Behandlung auf einer darauf spezialisierten Einheit – einer Stroke-Unit – verhindert viele Komplikationen. Prof. Dr. med. Helmuth Steinmetz, Frankfurt am Main, gab einen Abriss der letzten 20 Jahre, seit Gründung der DSG. Unter dem Motto „Forschen – Fördern – Umsetzen“ folgt die DSG dem Ziel, Schlaganfälle schnell, effektiv und nachhaltig zu behandeln. Besonderer Bedeutung kam und kommt dabei der Etablierung der Stroke Units zu. Mit der flächendeckenden Etablierung dieser spezialisierten Einheiten in Deutschland wurde der Schlaganfall von einem Ereignis, „dem man nihilistisch gegenüberstand – in dem Sinne, dass die Folgen kaum zu ändern und auch nur sehr begrenzt therapierbar sind – zu einer erfolgreich behandelbaren Krankheit“.
 
 

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Ischämischer Schlaganfall: Verlängertes EKG zur Entdeckung von VHF

Erschienen am 08.07.2021Vorhofflimmern (VHF) ist ein wichtiger Schlaganfall-Risikofaktor. Betroffene werden nach einem ischämischen Schlaganfall zur Rezidiv-Prophylaxe antikoaguliert. Patienten ohne bekanntes VHF erhalten hingegen Thrombozytenfunktionshemmer, die in der Schlaganfallprävention bei VHF weit weniger effektiv sind. Ein intermittierendes VHF kann der Standarddiagnostik entgehen. Die aktuell publizierte „The Impact of MONitoring for Detection of Atrial Fibrillation in Ischemic Stroke“ (MonDAFIS)-Studie (1) untersuchte den Einfluss eines additiven EKG-Monitorings über bis zu 7 Tage auf die Rate der oralen Antikoagulation nach 12 Monaten.

Erschienen am 08.07.2021undefined

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Schlaganfall-Nachsorge in Deutschland oft unzureichend

Während in Deutschland selbst eine annähernd flächendeckende Versorgung über Stroke Units etabliert wurde, bestehen in Osteuropa erhebliche Mängel in der Versorgung, berichtete Prof. Dr. med. Jürgen H. Faiss, Teupitz: „Das Prinzip der Stroke-Units muss unbedingt dorthin gebracht werden. In Deutschland werden 70-80% der Fälle auf speziellen Stationen behandelt, was bereits sehr gut ist. Bei uns ist allerdings die Nachsorge das Problem. Viele Betroffene fallen bei der Nachversorgung aus dem Raster“. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Patientinnen und Patienten sind nach einem Schlaganfall oft immobil, neigen eher dazu, zum Hausarzt statt zum Neurologen zu gehen, besonders im ländlichen Bereich. „Hier wäre es ganz wichtig, einen besseren Austausch zwischen stationärer und ambulanter Versorgung zu schaffen“, mahnte Faiss. „Beim Hausarzt fehlen die Standards in der Diagnostik und Therapie, die neurologischen Ausfälle können in der hausärztlichen Versorgung nicht gemanagt werden.“

Telemedizin bei der Schlaganfallversorgung enorm wichtig

Aus diesem Grund hat die DSG unter Beteiligung der Schlaganfall-Hilfe eine Nachsorgekommission gegründet. Gerade dabei spielt die telemedizinsiche Versorgung eine entscheidende Rolle, betonte Prof. Dr. med. Christoph Gumbinger, Heidelberg. „Wenn die Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre Nachsorge bei einem Neurologen zu machen, ohne erst in die nächste Stadt zu fahren, steigen die Chancen für eine gelungene Rehabilitation“. Doch auch in der Phase der frühen Krankenhausbehandlung ist der Nutzen der Telemedizin enorm.

Schon während der Verlegung kann Therapie geplant werden

Zur Thrombektomie, die der Teleneurologe initiiert, muss der Patient häufig in ein Schlaganfallzentrum, meist eine überregionale Stroke Unit, verlegt werden. Häufig startet die Partnerklinik eine Lysetherapie und verlegt den Patienten unter laufender Therapie in das Zentrum. Während der Patient noch unterwegs ist, wird im Zentrum bereits der Eingriff geplant – die CT/MRT-Bilder sind ans Zentrum übermittelt und der Teleneurologe kennt den klinischen Zustand genau, so dass nach Ankunft des Patienten im Zentrum unmittelbar mit dem Eingriff begonnen werden kann. Geplant ist auch, dass der Patient während der Verlegung ins Zentrum telemedizinisch unterstützt wird.

Telenotarzt soll eingeführt werden

In vielen Bundesländern gibt es Bemühungen einen Telenotarzt einzuführen. Dabei kann bei Bedarf ein Notarzt telemedizinisch zum Rettungsdienst zugeschaltet werden und den Patienten mitbehandeln. Aktuell werden die Verlegungen zur Thrombektomie noch durch einen Notarzt im Rettungswagen begleitet. Hier kann ein sinnvoller Einsatz der Telemedizin dem teilweise bestehenden Kapazitätsengpass bei Notärzten entgegenwirken – nicht jeder Patient benötigt einen „physisch“ vorhandenen Notarzt. Hier besteht das Potenzial, die Schlaganfallbehandlung zu beschleunigen – aktuell kommt es zu zeitlichem  Verzug bei Verlegungen einfach deshalb, weil kein Notarzt unmittelbar zur Verlegung verfügbar ist.
 
 

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Ärzte-Umfrage bestätigt: Telemedizin ist weiter auf dem Vormarsch

Erschienen am 18.11.2020Eine aktuelle DocCheck-Umfrage unter 300 Ärzten gibt Aufschluss zur Akzeptanz und Nutzung von Video-Sprechstunden von Medizinern sowie den Vorteilen und Herausforderungen für den Praxisalltag. Über ein Fünftel der befragten Ärzte (21%) bietet demnach bereits telemedizinische Leistungen an – weitere 18% haben konkrete Pläne, in die telemedizinische Anwendung einzusteigen. Gründe dafür liegen aus Sicht der Ärzte vor allem in den Vorteilen der höheren Flexibilität (49%) und gesteigerten Effizienz (42%), die digitale Leistungen mit sich bringen können.

Erschienen am 18.11.2020undefined

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Besonderheiten der neuen Leitlinie zum Schlaganfall

Abschließend erläuterte Prof. Dr. med. Dipl.Inf. (FH) Peter A. Ringleb, Heidelberg, die Neuerungen in der Schlaganfall-Leitlinie. Der  Leitlinientext  umfasst  insgesamt  116  Empfehlungen  mit  klaren  Handlungsempfehlungen  und  28 Statements der Leitliniengruppe. Ringleb hob die für ihn wichtigsten hervor:
 
  • Alle Patienten mit einem akuten Schlaganfall sollen auf einer Stroke Unit behandelt werden. Patienten mit einer TIA-Symptomatik (Transitorische ischämische Attacke) innerhalb der letzten 48 Stunden sollten auf einer Stroke Unit behandelt werden. Die Aufenthaltsdauer auf der Stroke Unit sollte sich an individuellen, patientenspezifischen Faktoren orientieren.
  • Bei allen Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall, die Kandidaten für eine Reperfusionstherapie sind, soll eine sofortige Bildgebung des Gehirns mit CT oder MRT erfolgen, um zwischen Ischämie und Blutung zu unterscheiden und somit das therapeutische Prozedere festlegen zu können. Patienten, die die Voraussetzungen für eine endovaskuläre Schlaganfalltherapie erfüllen, sollen unmittelbar auch eine nicht invasive Gefäßdiagnostik (CTA, MRA) erhalten, die auch den Aortenbogen umfassen sollte. Falls bei Ankunft in der Klinik das kritische Zeitintervall von 4,5 Stunden überschritten ist, sollte eine erweiterte multimodale Bildgebung erfolgen (zum Beispiel Perfusionsuntersuchung mit MRT oder CT), da befundabhängig noch eine spezifische Schlaganfalltherapie möglich sein kann.
  • Das sogenannte Post-Stroke-Delir betrifft im Mittel jeden vierten Schlaganfallpatienten und hat erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung. In kurzer Zeit entwickeln sich fluktuierende Störungen von Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Bewusstsein, die nicht allein durch den Schlaganfall erklärt werden können. Ein solches Delir führt zu einer fast fünffach erhöhten Sterblichkeit, längeren Klinikaufenthalten und häufigeren Entlassungen in Pflegeeinrichtungen. Trotz dieser Häufigkeit und der möglichen Folgen des Post-Stroke-Delirs sind Forschungsergebnisse dazu rar und die Therapien daher kaum standardisiert. Die Leitlinien empfehlen das gezielte Screening mit etablierten Scores. Neben der Behandlung mit speziellen Medikamenten ist es besonders wichtig, frühzeitig die Reorientierung der Patienten zu stimulieren (Kommunikation, Mobilisation, Brille, Hörgeräte, Tag-Nacht-Rhythmus).
  • Eine frühe duale antithrombotische Sekundärprophylaxe (ASS plus Clopidogrel oder Ticagrelor) sollte nicht routinemäßig erfolgen. Sie kann aber bei ausgewählten Patienten nach TIA oder leichten Schlaganfällen für einen kurzen Zeitraum Vorteile haben. Bei erhöhtem Blutungsrisiko sollte keine duale Plättchenhemmung erfolgen.

Quelle: Online-Pressekonferenz der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), 26.10.2021 zum Weltschlaganfalltag; Veranstalter: DSG



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