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Medizin

Präzises Gleichgewicht der Stammzellen

Während der Entwicklung der Großhirnrinde müssen neuronale Stammzellen in einem präzisen Gleichgewicht zwischen Selbsterneuerung und Differenzierung stehen, um die große Vielfalt an Nervenzellen zu erzeugen, die für Wahrnehmung und Kognition notwendig sind. Ist dieses Gleichgewicht gestört, kommt es zu Fehlbildungen. „Dank moderner Sequenzierverfahren und genetischer Analysemethoden wächst unser Verständnis der genetischen Ursachen von Entwicklungsstörungen des Gehirns rasant“, berichtet Dr. Tuoc.

Genom-Screening von Patient:innen

Er und sein Team identifizierten durch Genom-Screenings von Patient:innen mit kortikalen Fehlbildungen Mutationen im Gen EXOSC10, die nicht durch die Eltern vererbt, sondern im Individuum neu entstanden waren. Um die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen, erzeugten die Forschenden Mausmodelle mit vergleichbaren Mutationen. Bei diesen Mäusen führte der teilweise Verlust von EXOSC10 zu einer vorzeitigen Umwandlung von Stammzellen in Nervenzellen. „Dadurch verkleinerte sich die Stammzellpopulation, und die Großhirnrinde blieb kleiner – ganz ähnlich wie beim menschlichen Krankheitsbild“, so Erstautorin Dr. Pauline Ulmke.

Molekulare Analysen – RNA-Sequenzierung und -Immunpräzipitation – zeigten, dass EXOSC10 normalerweise bestimmte Boten-RNAs des Sonic-Hedgehog-(Shh)-Signalwegs, darunter Scube1 und Scube3, abbaut. Fehlt EXOSC10, werden diese Transkripte nicht ausreichend abgebaut, was zu einer übermäßigen Aktivierung des Shh-Signals führt. „Wird diese Signalaktivität im Mausmodell gehemmt, kann die reduzierte Hirngröße weitgehend wiederhergestellt werden – ein klarer Beweis für die ursächliche Rolle dieser Fehlregulation“, folgert Dr. Ulmke.

Bislang unbekannte Verbindung

„Unsere Studie zeigt eine bislang unbekannte Verbindung zwischen RNA-Abbau und Sonic-Hedgehog-Signalgebung während der Hirnentwicklung“, erklärt Dr. Tuoc. „Sie verdeutlicht, wie empfindlich das Gleichgewicht zwischen RNA-Stabilität und Signalaktivität bei der Steuerung des Wachstums des Kortex ist.“ Neben der Identifizierung von EXOSC10 als neuem Mikrozephalie-Gen liefert die Studie grundlegende Erkenntnisse darüber, wie post-transkriptionelle RNA-Regulation das Gleichgewicht neuronaler Stammzellen kontrolliert und damit die Gehirngröße bestimmt.

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Quelle:

Ruhr-Universität Bochum

Literatur:

(1)

Ulmke P A et al. Brain (2025). DOI: 10.1093/brain/awaf405