Ganzheitlich gegen Endometriose: Mehr als nur Symptome behandeln
Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Nadine KretschmerEndometriose ist eine chronische, entzündliche Erkrankung, bei der gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst – etwa an den Eierstöcken, Eileitern oder im Bauchraum. Diese fehlplatzierte Schleimhaut reagiert auf Hormone wie das normale Endometrium, was zu wiederkehrenden Schmerzen, schmerzhaftem Geschlechtsverkehr und oft auch zu Unfruchtbarkeit führt. Sie ist die häufigste Ursache für chronische Unterleibsschmerzen. Die genauen Ursachen sind noch ungeklärt; hormonelle, immunologische und neurologische Faktoren spielen jedoch eine Rolle. Neben den körperlichen Beschwerden hat die Krankheit weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität – sie ist mit Depressionen, Angststörungen und sogar Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert. Aufgrund ihrer Komplexität und hohen Behandlungskosten stellt Endometriose nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein sozioökonomisches Problem
Endometriose betrifft Millionen Frauen weltweit
Endometriose betrifft weltweit schätzungsweise 5–15% aller Frauen im gebärfähigen Alter und wird meist zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr diagnostiziert. Sie kann in seltenen Fällen auch bei Mädchen vor der ersten Regelblutung und bei postmenopausalen Frauen auftreten. Die tatsächliche Häufigkeit lässt sich schwer bestimmen, da eine sichere Diagnose nur durch eine Bauchspiegelung mit Gewebeuntersuchung möglich ist. Besonders häufig tritt Endometriose bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch oder chronischen Unterleibsschmerzen auf: bis zu 50% der unfruchtbaren und rund 20% der hospitalisierten Patientinnen sind betroffen. Auch Jugendliche bleiben nicht verschont: Etwa 6–10% leiden darunter, und bei bis zu 70% der Teenager mit therapieresistenten Regelschmerzen wird Endometriose festgestellt.
Rätsel im Körper: Wie entsteht Endometriose?
Die Entstehung der Endometriose ist bis heute nicht vollständig verstanden. Sie stellt ein komplexes Zusammenspiel hormoneller, immunologischer und entzündlicher Prozesse dar. Eine der bekanntesten Erklärungen ist Sampsons Theorie der retrograden Menstruation, nach der Menstruationsblut mit Endometriumzellen über die Eileiter in die Bauchhöhle gelangt. Diese Theorie kann jedoch nicht alle Fälle erklären, etwa das Auftreten von Endometriose vor der ersten Regelblutung oder sogar bei Männern. Neuere Ansätze, wie die Brosens-Hypothese, vermuten, dass bereits neonatale Uterusblutungen im Säuglingsalter den Grundstein für spätere Endometriose legen könnten. Andere Forscher sehen den Ursprung der Erkrankung in der Embryonalentwicklung durch fehlerhafte Zellwanderung oder Umbauprozesse im Müller’schen Gangsystem. Aktuell rückt auch die HOX-Gen-Theorie in den Fokus, die genetische Veränderungen während der frühen Entwicklung als mögliche Ursache betrachtet.
Zwischen Schmerz und Stille – warum Endometriose so schwer zu fassen ist
Die Symptome der Endometriose sind so vielfältig wie ihre Erscheinungsformen, je nachdem, wo sich die Herde im Körper befinden. Typisch sind starke Regelschmerzen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und chronische Unterleibsbeschwerden, oft begleitet von Verdauungs- oder Blasenproblemen wie Übelkeit, Verstopfung oder schmerzhaftem Wasserlassen. Besonders tückisch: Die Stärke der Symptome sagt wenig über das tatsächliche Ausmaß der Erkrankung aus, und viele Betroffene bleiben lange unerkannt, weil sie kaum oder gar keine Beschwerden haben. Endometriose wirkt sich auch oft seelisch aus und kann zu Erschöpfung, Depressionen und Angststörungen führen. Trotzdem wird dieser psychische Aspekt in der medizinischen Versorgung häufig übersehen.
Körperlich belastend, psychisch herausfordernd: Endometriose ganzheitlich betrachten
Vor allem die chronische Beckenschmerzen führen bei vielen Betroffenen zu Depression, Angst und stark eingeschränkter Lebensqualität, unabhängig vom Stadium der Erkrankung. Studien zeigen, dass Frauen mit chronische Beckenschmerzen deutlich höhere Raten von psychischen Belastungen haben – bis zu 86 % entwickeln depressive Symptome, während Angst und Sorgen den Alltag zusätzlich belasten. Spannend ist, dass auch hier die Schmerzintensität nicht direkt mit dem Ausmaß der Endometriose zusammenhängt, was darauf hindeutet, dass auch psychologische Faktoren die Schmerzwahrnehmung massiv beeinflussen. Fruchtbarkeitsprobleme und traumatische Erfahrungen verstärken die Belastung noch weiter. Diese Erkenntnisse machen deutlich: Wer Endometriose behandelt, darf die mentale Gesundheit nicht aus den Augen verlieren – eine ganzheitliche Betreuung ist entscheidend.
Endometriose im reproduktiven Kontext: Auswirkungen auf Sexualität und Schwangerschaft
Ursache für Infertilität bei Endometriose sind unter anderem anatomische Veränderungen durch Verwachsungen, hormonelle Störungen und Immunabweichungen, wobei bisher keine Therapie eine verlässliche Verbesserung der Fruchtbarkeit bietet. Die Erkrankung kann zudem zu sexueller Dysfunktion führen, da Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und chronische Beckenbeschwerden die Lebensqualität und das Sexualleben stark beeinträchtigen. Chirurgische Eingriffe können hier teilweise Linderung schaffen. In der Schwangerschaft zeigt Endometriose ein komplexes Bild: Obwohl manche Symptome abnehmen, können Entzündungen, Progesteronresistenz oder Verwachsungen zu Komplikationen wie Frühgeburten, Wachstumsrestriktionen des Fötus oder Kaiserschnitt führen. Insgesamt zeigt sich, dass Endometriose nicht nur die physische, sondern auch die reproduktive Gesundheit und das soziale Wohlbefinden von Frauen in der reproduktiven Lebensphase stark beeinflusst. Die Bedeutung eines frühzeitigen Erkennens und einer individuell abgestimmten Betreuung wird dadurch besonders deutlich.
Der schwere und teils lange Weg zur Diagnose
Die Diagnose einer Endometriose bleibt jedoch leider eine Herausforderung: Der Goldstandard ist nach wie vor die Bauchspiegelung mit anschließender Gewebeuntersuchung. Besonders häufig wird das Klassifikationssystem der American Society for Reproductive Medicine (ASRM) verwendet, da es sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch für Patientinnen gut nachvollziehbar ist. Kleinere oder oberflächliche Herde lassen sich jedoch weder durch bildgebende Verfahren noch durch eine klinische Untersuchung zuverlässig erkennen – hier spielt die Erfahrung des Operateurs eine entscheidende Rolle. Ovarielle Endometriome können dagegen mit einer Sensitivität und Spezifität über 90% mittels transvaginalem Ultraschall oder MRT diagnostiziert werden, wobei Letzteres besonders hilfreich bei tief infiltrierenden Formen ist. Trotz dieser modernen Möglichkeiten wird Endometriose im Durchschnitt erst nach sieben bis zehn Jahren erkannt, weil die Symptome unspezifisch sind, häufig verharmlost werden oder zu Fehldiagnosen führen und Betroffene meist lange Wege von Ärzt:in zu Ärzt:in hinter sich bringen müssen, bevor die richtige Diagnose gestellt wird.
Grün, gesund, wirksam: Naturstoffe im Kampf gegen Endometriose
Die Behandlung der Endometriose richtet sich individuell nach Symptomen, Ausbreitung und Lebenssituation und erfordert häufig ein multidisziplinäres Vorgehen. Während operative und hormonelle Therapien nach wie vor die Standardbehandlung darstellen, gewinnen nicht-pharmakologische Ansätze zunehmend an Bedeutung, da sie weniger Nebenwirkungen verursachen und langfristig verträglicher sind. Im Mittelpunkt stehen dabei natürliche Wirkstoffe mit entzündungshemmenden, antioxidativen und hormonregulierenden Eigenschaften. Substanzen wie Resveratrol, grüner-Tee-Extrakt (EGCG), Curcumin oder Melatonin zeigen in Studien vielversprechende Effekte: Sie hemmen Zellwachstum, Entzündungen und Gefäßneubildung der Endometrioseherde. Auch Pflanzenextrakte aus Pueraria, schwarzem Knoblauch oder Uncaria tomentosa wirken regulierend auf das Immunsystem. Solche natürlichen Alternativen könnten künftig eine wertvolle Ergänzung zur klassischen Therapie sein – vor allem für Frauen, die sanftere und langfristig verträgliche Behandlungswege suchen.
Pharmakologische Strategien gegen Endometriose
Pharmakologische Therapien bilden derzeit das Rückgrat der medikamentösen Behandlung von Endometriose. Progestine wie Dienogest, Norethindronacetat oder Medroxyprogesteron reduzieren Schmerzen, hemmen Entzündung und Endometriumwachstum und können über verschiedene Wege verabreicht werden, wobei Nebenwirkungen wie Blutungsstörungen oder Gewichtszunahme auftreten können. GnRH-Analoga erzeugen einen Zustand niedriger Östrogenspiegel, wodurch Endometrioseherde zurückgehen, sind jedoch wegen Nebenwirkungen wie Knochendichteverlust und hoher Kosten meist eine zweite Wahl. Neuere orale GnRH-Antagonisten, etwa Elagolix, wirken schneller, vermeiden den sogenannten „Sprout-Effekt“ und bieten eine effektive Option bei moderaten bis starken Schmerzen. Ergänzend kommen Schmerzmittel zur kurzfristigen Linderung zum Einsatz. Vielversprechende Zukunftsperspektiven, die bisher aber überwiegend experimentell getestet sind, umfassen Therapien mit Nanotechnologie und Licht-induzierter Hyperthermie.
Ernährung als ein weiterer Schlüssel zur Symptomlinderung
Auch die Ernährung kann bei Endometriose eine wichtige unterstützende Rolle spielen, da sie Entzündungen moduliert und den Hormonhaushalt beeinflusst. Eine ballaststoffreiche Ernährung mit wenig Transfetten kann den Östrogenspiegel senken und Entzündungsmarker reduzieren, während ein hoher Konsum von Omega-3-Fettsäuren schützend wirkt. Obst, insbesondere Zitrusfrüchte, liefert Antioxidantien, die oxidative Schäden verringern und das Risiko für Endometriose senken können, während hoher Fleischkonsum mit einem Anstieg von Östrogenen und Entzündungsmarkern verbunden ist. Vitamine wie C, D und E können entzündungshemmend wirken und Beschwerden wie Unterleibsschmerzen, Dysmenorrhoe oder Dyspareunie lindern. Koffein scheint nur bei sehr hohem Konsum (>300 mg/Tag) das Risiko für Endometriose zu erhöhen. Insgesamt zeigt sich, dass eine gezielte Ernährung und Supplementierung eine sinnvolle Ergänzung zu medizinischen Therapien darstellen kann, um Symptome zu mildern und die Krankheitsprogression zu beeinflussen.
Vom Darm bis zur Gebärmutter: Die heimlichen Mitspieler der Endometriose
Auch das Mikrobiom spielt eine zentrale Rolle für Gesundheit und Homöostase, etwa durch Nährstoffaufnahme, Schutz vor Krankheitserregern und Regulation von Immun- und Hormonprozessen. Dysbiosen können somit das Risiko für Erkrankungen wie Endometriose erhöhen, indem sie Entzündungen fördern und den Östrogenspiegel im Blut steigern. Im Uterus wurden verschiedene mikrobielle Gemeinschaften nachgewiesen, wobei ein Überwiegen von Nicht-Lactobacillus-Bakterien mit stärkerer Entzündungsreaktion verbunden ist. Bakterien aus der Vagina können durch Kontraktionen oder andere Mechanismen in die Gebärmutter gelangen und dort das mikrobiologische Gleichgewicht beeinflussen. Lactobacillus-Bakterien sind besonders wichtig für die reproduktive Gesundheit, da sie ein ungünstiges Milieu für pathogene Keime schaffen und entzündungshemmend wirken. Sinkt ihr Anteil, wie etwa bei bakterieller Vaginose, steigt die Entzündungsaktivität, was wiederum das Endometriose-Risiko erhöht. Ein gestörtes Darmmikrobiom kann außerdem durch die Aktivität spezifischer Enzyme die Wiederaufnahme von Östrogen erhöhen, was die Entstehung und Progression von Endometriose begünstigt.
Yoga, Kraft & Ausdauer: Bewegung stärkt Körper und Geist bei Endometriose
Regelmäßige körperliche Aktivität stellt einen weiteren wichtigen Baustein der Endometriose-Behandlung dar und wirkt sich vielfältig positiv aus. Muskelkontraktionen setzen sogenannte Myokine frei, die lokal und systemisch entzündungshemmend wirken, während Sport die Produktion von Leukozyten, Cortisol und Adrenalin steigert. Da Endometriose östrogenabhängig ist, kann regelmäßige Bewegung über die Erhöhung von SHBG den Anteil an bioverfügbaren Östrogenen reduzieren und so protektiv wirken. Studien an Tieren und Menschen zeigen, dass Ausdauer- und Krafttraining das Risiko für Endometriose um 40 - 80% senken, die Insulinresistenz verbessern und oxidative Schäden verringern können. Zudem reduziert regelmäßige Bewegung die Intensität von Beckenschmerzen und fördert das psychische Wohlbefinden, wobei Yoga und andere Mind-Body-Übungen zusätzlich Selbstbild und Lebensqualität verbessern. Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse sind die optimalen Trainingsarten, -intensitäten und -frequenzen jedoch noch nicht eindeutig festgelegt, da bisher nur wenige differenzierte Studien vorliegen.
Endometriose ganzheitlich betrachten: Ein integrativer Ansatz für Körper und Geist
Wie sich zeigt, ist Endometriose eine komplexe und vielschichtige Erkrankung, die sowohl körperliche, psychische als auch soziale Aspekte umfasst. Die Diagnose gestaltet sich oft schwierig, da Symptome variieren, fehlleiten oder gar fehlen können. Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass hormonelle, immunologische und genetische Faktoren eng miteinander verwoben sind und neue Therapieansätze wie GnRH-Antagonisten oder gezielte Mikrobiota-Interventionen neue Möglichkeiten eröffnen. Ergänzende Maßnahmen wie körperliche Aktivität, Ernährung, und Mind-Body-Praktiken zeigen vielversprechende Effekte auf Schmerzreduktion und Lebensqualität. Die psychische Gesundheit spielt ebenso eine zentrale Rolle, da chronische Schmerzen und die Erkrankung selbst oft zu Angst, Depression und sozialer Einschränkung führen. Die Evidenz spricht daher klar für einen ganzheitlichen, patientenzentrierten Ansatz, der medizinische, psychologische, ernährungsbezogene und lifestyle-orientierte Interventionen integriert, um die Lebensqualität und das Wohlbefinden von Betroffenen nachhaltig zu verbessern.
Quelle:Cano-Herrera et al. (2024): Endometriosis: A Comprehensive Analysis of the Pathophysiology, Treatment, and Nutritional Aspects, and Its Repercussions on the Quality of Life of Patients. Biomedicines, DOI: 10.3390/biomedicines12071476.