Depression
Nina HaußerDepressionen zählen zu den häufigsten und zugleich folgenreichsten psychischen Erkrankungen: Schätzungen zufolge erkranken in Deutschland jährlich rund 5,3 Millionen Erwachsene an einer unipolaren Depression. In den letzten Jahren ist außerdem ein deutlicher Anstieg der Diagnosehäufigkeit depressiver Störungen zu beobachten [1]. Für Ärzt:innen aller Fachrichtungen ist es deshalb essenziell, depressive Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, leitliniengerecht zu diagnostizieren und angemessen zu behandeln.
Was ist eine Depression?
Eine Depression ist eine psychische Störung, die durch einen Zustand deutlich gedrückter Stimmung, Interesselosigkeit und Antriebsminderung über einen längeren Zeitraum gekennzeichnet ist. Häufig treten zusätzlich vielfältige körperliche Beschwerden auf.
Betroffene sind meist in ihrer gesamten Lebensführung erheblich beeinträchtigt: Alltägliche Aufgaben fallen schwer oder sind gar nicht mehr zu bewältigen. Die Erkrankung beeinträchtigt das Selbstwertgefühl in zentraler Weise und geht wie kaum eine andere mit ausgeprägtem psychischem Leidensdruck einher. Sie unterscheidet sich von normalen Stimmungsschwankungen durch ihre Dauer, Tiefe und das Ausmaß funktioneller Einschränkungen [1].
Wie häufig sind Depressionen und wer ist betroffen?
In Deutschland liegt das Risiko, im Laufe des Lebens an einer depressiven Störung zu erkranken, bei etwa 16%. Jährlich sind rund 5,3 Millionen Erwachsene betroffen. Besonders auffällig ist, dass Depressionen immer häufiger in jüngeren Altersgruppen auftreten. Die Hälfte aller Betroffenen erlebt ihre erste depressive Episode bereits vor dem 31. Lebensjahr. Auch in der Kindheit und Adoleszenz nehmen die Erkrankungsraten zu.
Gleichzeitig ist die Depression im höheren Lebensalter die häufigste psychische Störung: In stationären Pflegeeinrichtungen betrifft sie bis zu jeden zweiten Menschen. Die Suizidrate steigt dabei im hohen Alter – vor allem bei Männern – besonders deutlich an.
Frauen erkranken im Vergleich zu Männern etwa doppelt so häufig. Soziodemographisch zeigen sich darüber hinaus deutliche Muster: Menschen ohne stabile Partnerschaft, mit niedrigerem Bildungsstand, prekären Beschäftigungsverhältnissen oder in städtischem Wohnumfeld haben ein signifikant höheres Erkrankungsrisiko [1].
Was löst eine Depression aus?
Depressionen sind kein einheitliches Krankheitsbild, sondern eine Gruppe psychischer Störungen mit vielfältigen Ursachen und Erscheinungsformen. Ihre Entstehung lässt sich am treffendsten durch multifaktorielle Modelle erklären, die biologische, psychologische und soziale Einflussgrößen in ihrer Wechselwirkung betrachten. Das in der klinischen Praxis vielfach genutzte Vulnerabilitäts-Stress-Modell geht davon aus, dass depressive Episoden dann entstehen, wenn eine individuelle Anfälligkeit (Vulnerabilität) mit akuten psychischen, sozialen oder somatischen Belastungen zusammentrifft. Die Bedeutung der einzelnen Risikofaktoren kann dabei stark variieren – sie ist von der individuellen Biografie, genetischen Disposition und Umwelt abhängig.
Zu den wichtigsten biologischen Prädispositionen zählen eine familiäre Belastung sowie körperliche Grunderkrankungen. Auch hormonelle Umstellungen, etwa in der Pubertät, im Wochenbett oder in den Wechseljahren, können als Auslöser wirken. Belastende Lebensereignisse und chronischer Stress zählen zu den häufigsten psychosozialen Auslösern depressiver Episoden und auch frühkindliche Traumata erhöhen das Risiko signifikant. Soziale Isolation, Vereinsamung und fehlende Bindungen gelten sowohl als auslösende als auch aufrechterhaltende Faktoren.
Spezifische soziodemographische Faktoren wie höheres Lebensalter, weibliches Geschlecht, Zugehörigkeit zu marginalisierten Gruppen oder ein niedriger sozioökonomischer Status sind klar mit einer erhöhten Prävalenz assoziiert. Auch komorbide psychische Störungen, insbesondere Angst- und Substanzgebrauchsstörungen sowie Persönlichkeitsstörungen, erhöhen das Risiko für depressive Entwicklungen erheblich. Lebensstilfaktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen und unausgewogene Ernährung spielen eine zusätzlich verstärkende Rolle [1].
Was sind die drei Hauptsymptome einer Depression?
Zu den Hauptsymptomen zählen:
gedrückte Stimmung
Antriebsmangel
Interessenverlust
Diese müssen über mindestens zwei Wochen hinweg bestehen und zu einer spürbaren Einschränkung im Alltag führen.
Welche Zusatzsymptome können auftreten?
vermindertes Selbstwertgefühl oder mangelndes Selbstvertrauen
unbegründete Schuldgefühle oder Selbstvorwürfe
Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsstörungen
Gedanken an den Tod oder Suizidhandlungen
Schlafstörungen (z. B. Ein- oder Durchschlafstörungen, frühes Erwachen)
Appetitminderung oder -steigerung mit Gewichtsveränderungen
psychomotorische Unruhe oder Hemmung
Je nach Anzahl dieser Zusatzsymptome sowie dem Schweregrad der Hauptsymptomatik erfolgt die diagnostische Einordnung in eine leichte, mittelgradige oder schwere depressive Episode.
Zusätzlich kann eine depressive Episode das sogenannte somatische Syndrom aufweisen. Dabei handelt es sich um ein klar definiertes Zusatzmerkmal mit spezifischen biologisch-vegetativen Symptomen wie z. B. Morgentief, frühmorgendlichem Erwachen oder ausgeprägtem Appetitverlust.
In schweren Fällen können außerdem psychotische Symptome wie Wahnideen oder Halluzinationen auftreten, die eine differenzierte Behandlung erfordern [1].
Wie wird eine Depression diagnostiziert?
Die Diagnose einer unipolaren Depression erfolgt mehrstufig und basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, strukturierten Interviews und dem Ausschluss somatischer Ursachen. Im Zentrum steht zunächst die gezielte Erhebung der Haupt- und Zusatzsymptome. Dabei kommt es nicht nur auf die Anzahl der Symptome an, sondern auch auf deren Ausprägung, Dauer und die daraus resultierende funktionelle Beeinträchtigung im Alltag. Besonders relevant ist auch die Abklärung früherer depressiver Episoden, aktueller psychosozialer Belastungsfaktoren sowie familiärer Vorbelastung.
Zur weiteren Diagnosesicherung empfehlen sich standardisierte strukturierte Interviews wie das SKID-I/II oder das MINI, die eine exakte Zuordnung zu den ICD-Kriterien ermöglichen. Ergänzend kann die Schwere der Erkrankung durch Fragebögen wie PHQ-9, WHO-5 oder die Hamilton-Depressionsskala (HAM-D) quantifiziert werden.
Ergänzend zur psychopathologischen Einschätzung sollte eine körperliche Untersuchung sowie ein Basislabor durchgeführt werden, um somatische Ursachen auszuschließen. Hierzu zählen etwa eine Hypothyreose, Vitaminmangelzustände oder metabolische Störungen. Die Basisdiagnostik umfasst Blutbild, TSH, Leber- und Nierenwerte, Glukose und gegebenenfalls Vitamin B12 und Folsäure. Bildgebende Verfahren wie MRT oder EEG sind nicht routinemäßig erforderlich, sondern nur bei neurologischen Auffälligkeiten oder therapieresistenter Symptomatik indiziert.
Ein zentrales Element der Diagnostik ist die strukturierte Erfassung von Suizidalität. Die Leitlinie empfiehlt ausdrücklich, bei allen Patient:innen mit depressiven Symptomen systematisch nach suizidalen Gedanken, Absichten oder bereits erfolgten Handlungen zu fragen – auch wenn keine expliziten Hinweise vorliegen. Bei erhöhter Gefährdung sollte eine differenzierte Einschätzung erfolgen. In akuten Krisensituationen ist eine sofortige Krisenintervention angezeigt; bei hoher Eigen- oder Fremdgefährdung kann eine (ggf. auch stationäre) Schutzmaßnahme erforderlich sein [1].
Wie therapiert man eine Depression?
Die Therapie orientiert sich am Schweregrad der Erkrankung, der individuellen Symptomkonstellation, dem Verlauf sowie den Präferenzen der Patientin oder des Patienten. Grundsätzlich umfasst die Behandlung drei zentrale Säulen: psychotherapeutische Verfahren, pharmakologische Therapie und – in schweren oder therapieresistenten Fällen – ergänzende somatische Therapien.
Bei leichten depressiven Episoden kann zunächst ein sogenanntes „watchful waiting“ mit begleitender ärztlicher Beobachtung und Psychoedukation über zwei bis vier Wochen erwogen werden. Zeigt sich in diesem Zeitraum keine Besserung, sollte eine evidenzbasierte psychotherapeutische Behandlung begonnen werden. Hier gelten insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) sowie die interpersonelle Psychotherapie (IPT) als wirksam.
Für mittelgradige depressive Episoden empfehlen die Leitlinien vorrangig eine Psychotherapie als Monotherapie. Eine Kombination mit einem Antidepressivum kann bei moderater Ausprägung erwogen werden, insbesondere wenn ein rascher Wirkungseintritt angestrebt wird oder Vorbehandlungen nicht ausgereicht haben.
In schweren Episoden ist dagegen meist eine Kombination aus Pharmakotherapie und Psychotherapie indiziert. Als medikamentöse Erstlinientherapie werden vor allem selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) empfohlen.
Bei fehlender Besserung unter adäquater Dosierung über mindestens vier bis sechs Wochen spricht man von einem unzureichenden Ansprechen, bei ausbleibender Wirkung nach zwei adäquaten Therapieversuchen von einer therapieresistenten Depression. In solchen Fällen sollte ein Stufenplan greifen: Hierzu zählen Wirkstoffwechsel, Augmentation mit Lithium oder atypischen Antipsychotika, Kombinationstherapien oder auch nichtmedikamentöse Verfahren, z.B. die Elektrokonvulsionstherapie (EKT), die bei schweren, psychotischen oder therapieresistenten Verläufen eine hochwirksame Option darstellt. Auch die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) sowie neuere Verfahren wie die Vagusnerv-Stimulation können bei ausgewählten Patientengruppen eingesetzt werden [1].
Wie sieht die Nachsorge nach einer depressiven Episode aus?
Im weiteren Verlauf ist die Erhaltungs- und Rückfallprophylaxe zentral. Nach vollständiger Remission sollte die Behandlung – je nach Anzahl der Episoden und Rückfallrisiko – für mindestens sechs bis zwölf Monate fortgeführt werden. Bei rezidivierenden oder chronischen Verläufen ist eine Langzeitmedikation über mehrere Jahre sinnvoll.
Für alle Schweregrade gilt außerdem: Eine strukturierte Psychoedukation ist essenzieller Bestandteil jeder Behandlung und Rezidivprophylaxe. Sie verbessert nicht nur das Krankheitsverständnis, sondern stärkt die Adhärenz und befähigt Patient:innen zu einem aktiven Umgang mit ihrer Erkrankung [1].
Wie ist die Prognose bei Depressionen?
Depressionen verlaufen meist episodisch: Rund 50% remittieren innerhalb von 6 Monaten, mit Behandlung verkürzt sich die Episodendauer deutlich. Allerdings sind 70–80% der Verläufe rezidivierend, das Rückfallrisiko liegt nach einer Episode bei 40–60% und steigt mit jeder weiteren Episode. Etwa 15–30% der Fälle entwickeln sich zu einem chronischen Verlauf (Dauer > 2 Jahre). Eine vollständige Remission ist möglich, aber hängt stark von frühzeitiger Diagnose, Therapieadhärenz und Begleitfaktoren ab.
Einfluss auf die Prognose nehmen verschiedene Faktoren: Günstig wirken sich eine hohe Therapieadhärenz, gute soziale Unterstützung, stabile Lebensverhältnisse und ein frühes Ansprechen auf die Behandlung aus. Ungünstige Prognosefaktoren sind dagegen eine lange unbehandelte Krankheitsdauer, komorbide psychische oder somatische Störungen, soziale Isolation sowie eine geringe Erkrankungseinsicht. Auch frühe Traumatisierungen und wiederholte Episoden im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter können den Verlauf negativ beeinflussen [1].
Kann man einer Depression vorbeugen?
Präventive Strategien umfassen Stressbewältigung, körperliche Aktivität und Stärkung sozialer Ressourcen. Risikopersonen profitieren von Programmen wie Achtsamkeitsbasierter Kognitiver Therapie (MBCT). Zahlreiche modifizierbare Schutzfaktoren können helfen, das Risiko für eine Depression deutlich zu senken. Eine der wirksamsten Maßnahmen ist regelmäßige körperliche Aktivität: Bereits etwa 60 Minuten Bewegung pro Woche sind mit einem um bis zu 12% reduzierten Erkrankungsrisiko verbunden [2]. Auch gesunder Schlaf spielt eine zentrale Rolle – Studien zeigen, dass sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht den stärksten individuellen Schutzfaktor darstellen [3].
Ebenso bedeutsam ist ein stabiles soziales Umfeld. Soziale Verbundenheit wirkt nachweislich als psychologisches Schutzschild: Eine US-Studie identifizierte sie als wichtigsten modifizierbaren Faktor zur Prävention von Depressionen [4]. Ernährung und Lebensstil sind ebenfalls entscheidend. Eine ausgewogene Kost mit viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukten kann präventiv wirken [3].
Häufig gestellte Fragen zum Thema Depression
Literatur:
- (1)
S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, abrufbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-005, letzter Zugriff 26.06.2025
- (2)
WHO: Physical Activity Fact Sheet, abrufbar unter: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/physical-activity, letzter Zugriff 26.06.2025
- (3)
University of Cambridge: Healthy lifestyle and depression risk, abrufbar unter: https://www.cam.ac.uk/research/news/healthy-lifestyle-can-help-prevent-depression-and-new-research-may-explain-why
- (4)
Choi KW et al. (2020) An Exposure-Wide and Mendelian Randomization Approach to Identifying Modifiable Factors for the Prevention of Depression. American Journal of Psychiatry, DOI: 10.1176/appi.ajp.2020.19111158