Mangelhafte Kompetenz und ineffiziente Strukturen: Die Notfallversorgung in Deutschland ist schlecht aufgestellt
Birgit Frohn Dipl. biol.Bei medizinischen Notfällen ist schnelle Hilfe oftmals lebensrettend. Doch bei der Anwendung von Erste-Hilfe-Maßnahmen gibt es laut dem Wiesbadener Internist Prof. Dr. Thomas Weber erhebliche Defizite in der Bevölkerung. So gaben 78% der Teilnehmer einer Umfrage in Wiesbaden an, sich bei einem Notfall nicht ausreichend kompetent zu fühlen, um einzugreifen und zu helfen oder sogar eine Herzdruckmassage durchzuführen. „Das ist alarmierend“. Je länger ein Erste-Hilfe-Kurs zurück liegt, sofern er überhaupt absolviert wurde, desto größer ist die Unsicherheit, so Prof. Weber weiter.
Banal oder lebensbedrohlich? Keine Ahnung
Ebenso wie bei der Notfall-, hapert es bei der Gesundheitskompetenz gewaltig. „Viele Menschen sind nicht in der Lage, eine banale gesundheitliche Störung von einer bedrohlichen Situation zu unterscheiden“. So werden Rettungsdienste zu Bagatellbeschwerden gerufen und fehlen dann für tatsächlich wichtige Einsätze anderswo. Die hohe gesundheitliche Inkompetenz macht sich auch in den Notaufnahmen der Krankenhäuser bemerkbar: „Von den 12,4 Millionen Aufnahmen im Jahr 2023 waren knapp 40% keine medizinischen Notfälle“. Die Konsequenzen sind überlastete Notaufnahmen, infolge lange Wartezeiten und immense Kosten für das Gesundheitswesen.
„Die 112 für bedrohliche Notfälle ist nicht jedem geläufig, noch weniger kennen die 116117 für den ärztlichen Bereitschaftsdienst“.
Notfallversorgung in Notlage
Die Notfallmisere besteht laut Prof. Weber seit Jahren: „Das bestehende Notfallsystem ist längst dringend reformbedürftig“. Das vom geschäftsführenden Gesundheitsminister Lauterbach im Oktober 2024 vorgelegte Notfallreformgesetz (1) enthielt gute Ansätze wie die Schaffung von integrierten Akutleitstellen und Notfallzentren. „Die Umsetzung ist dann jedoch im Zuge des Koalitionsbruchs im Tunnel stecken geblieben“. Angedacht ist das Inkrafttreten des Notfallreformgesetzes bisher für 2025. „Die Impulse oder Änderungen durch die neue Bundesregierung und die neuen parlamentarischen Gremien bleiben abzuwarten“.
Befähigung der Bevölkerung stärken
Als Initiator des Vereins „Wiesbaden lernt erste Hilfe“ plädiert Prof. Weber dafür, Gesundheits- und Notfallkompetenz bereits an den Schulen zu vermitteln. Die bisherigen Erfahrungen mit 18.000 Schulkindern sind sehr positiv: „Die Kinder nehmen mit Begeisterung an den Kursen und Übungen teil, ihre Lernbegierde ist enorm“.
Der Internist spricht sich weiterhin dafür aus, Erste-Hilfe-Kurse im Laufe des Lebens unbedingt zu wiederholen. Zusätzlich sollte die versierte Nutzung von Informationsquellen wie Notfall-Apps „Allgemeingut der Bevölkerung werden“.
Quelle:Vorab-Pressekonferenz anlässlich des 131. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) am 23. April 2025.
Literatur:
- (1)
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung. Bundestagsdrucksache 20/13166 vom 02.10.2024, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw41-de-notfallversorgung-1020968, letzter Zugriff: 29.04.2025.