Neue ESC-Leitlinien für Herzmuskel- und Herzbeutelentzündung
Beim Fachkongress der European Society of Cardiology (ESC) in Madrid wurden die neuen europäischen Leitlinien zur Behandlung von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen vorgestellt. Basierend auf dem aktuellen Stand der Forschung liefern die ESC-Leitlinien klare Handlungsempfehlungen zur Diagnose und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie schaffen die Grundlage, um Patient:innen europaweit nach einheitlichen Qualitätskriterien behandeln zu können. Dabei werden Entzündungen des Herzmuskels (Myokarditis) und des Herzbeutels (Perikarditis) erstmals nicht isoliert voneinander betrachtet, sondern als sich gegenseitig beeinflussende Erkrankungen – eine wichtige Voraussetzung zur Festlegung der individuell passenden Therapie.
Expertengruppe aus verschiedenen europäischen Ländern federführend
Erarbeitet wurden die Leitlinien von einer Expertengruppe aus Kardiolog:innen verschiedener europäischer Länder – unterstützt von Wissenschaftler:innen und Patientenvertreter:innen mit dem Ziel, besonders praxisnahe und patientenorientierte Empfehlungen zu entwickeln. Die Leitung dieser „Task Force„ als „Chairpersons“ lag bei der Charité-Kardiologin Prof. Jeanette Schulz-Menger und bei Prof. Massimo Imazio (Universitätsklinik Santa Maria della Misericordia, Udine/Italien).
„Die heute vorgestellten ESC-Leitlinien enthalten zahlreiche Neuerungen, die für eine europaweit einheitliche und innovative Behandlung von Patient:innen mit Myokarditis und Perikarditis enorm wichtig sind. Gemeinsam haben wir maßgeschneiderte, patientenorientierte Empfehlungen entwickelt, die den Weg zu einer personalisierten und modernen Versorgung von Herzmuskel- und Herzbeutelerkrankungen ebnen. Damit schaffen wir eine praxisnahe Orientierungshilfe für Ärztinnen und Ärzte sowie die Basis für eine sichere und gezielte Versorgung der Patient:innen", sagt Prof. Jeanette Schulz-Menger.
Überblick über die Guidelines
Die neuen Guidelines sind die ersten ESC-Leitlinien zu Myokarditis und ersetzen die bisherigen Empfehlungen der ESC zu Perikarditis, die aus den Jahren 2013 und 2015 stammen. Ein Überblick:
Die neuen Guidelines setzen auf symptomgesteuerte Behandlungspfade für Patient:innen, die erstmals mit Beschwerden in die Klinik kommen. Ein:e Patient:in mit Brustschmerzen sollte beispielsweise nach einem anderen Schema behandelt werden als jemand mit Herzrhythmusstörungen oder Herzschwäche. Dies soll Ärzt:innen helfen, schneller die richtige Diagnose zu stellen und die passende Therapie einzuleiten.
Genetische Faktoren und Fehlsteuerungen des Immunsystems werden explizit berücksichtigt. Treten die Entzündungen wiederholt auf oder gibt es bereits Krankheitsfälle in der Familie, wird etwa eine genetische Abklärung empfohlen. Dieser Trend zur personalisierten Medizin geht auf die individuellen Ursachen der Erkrankung ein.
In den Leitlinien werden Warnhinweise – sogenannte „Red Flags" – definiert, um die Erkrankung als solche überhaupt wahrzunehmen, aber auch um lebensbedrohliche Komplikationen frühzeitig erkennen und individuell behandeln zu können. Dazu zählen etwa schwere Herzrhythmusstörungen, eine schwere Herzschwäche oder ein großer Erguss um das Herz. Patient:innen mit diesen Symptomen sollen besonders engmaschig überwacht und sofort in einem Spezialzentrum behandelt werden.
In der Diagnostik legen die Leitlinien einen Schwerpunkt auf die Bedeutung der Kardio-Magnetresonanztomographie (Kardio-MRT). Diese ermöglicht eine sehr genaue, nicht-invasive Beurteilung von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen und kann so helfen, die Erkrankung unkompliziert, schnell und sicher zu erkennen – vergleichbar mit der Aussagekraft einer Biopsie. Dies stellt einen Paradigmenwechsel dar, der sich unabhängig von den Europäischen Guidelines auch in den US-amerikanischen Leitlinien vom American College of Cardiology und der American Heart Association so wiederfindet.
Bei der Nachsorge setzten die Guidelines auf maßgeschneiderte Empfehlungen, wann Sport und Arbeiten wieder möglich sind. Bisher geltende allgemeine Sportverbote werden nicht empfohlen – entscheidend ist die individuelle Situation der Patient:innen.
Die Leitlinien umfassen auch Einschätzungen zu neuen Medikamenten und zum Einsatz von Defibrillatoren oder mechanischen Kreislaufunterstützungssystemen bei komplexen Krankheitsfällen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Erfolgsfaktor
„Besonders wichtig: Die Behandlung von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen kann nur gemeinsam in einem interdisziplinären Team gelingen", sagt Prof. Schulz-Menger. Neben Kardiolog:innen sollten fallspezifisch Spezialist:innen aus den Bereichen Bildgebung, Elektrophysiologie, Infektionskrankheiten, Genetik, Rheumatologie, Immunologie, Pathologie oder Chirurgie eingebunden werden. „Die Patientinnen und Patienten sollten außerdem von Beginn an beteiligt werden und mit über die Therapieschritte entscheiden können. Das hilft, Ängste abzubauen und Vertrauen in den Behandlungsprozess zu schaffen“, so die Charité-Kardiologin.
Vorstellung beim ESC Congress in Madrid
Prof. Schulz Menger stellte die neuen Leitlinien gemeinsam mit Prof. Massimo Imazio und weiteren Mitgliedern der Task Force beim ESC Congress in Madrid vor. An der Erstellung der Guidelines waren auch Prof. Dr. Bettina Heidecker, Oberärztin für Herzinsuffizienz und Kardiomyopathien an der DHZC-Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Campus Benjamin Franklin, sowie Dr. Jan Gröschel (DHZC-Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Charité Campus Mitte) als Taskforce Coordinator beteiligt.
Die „2025 ESC Guidelines for the Management of Myocarditis and Pericarditis" sind hier abrufbar: https://academic.oup.com/eurheartj/article-lookup/doi/10.1093/eurheartj/ehaf192
Quelle:Deutsches Herzzentrum der Charité