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Innovative Tablette setzt Nicotinamid gezielt im Darm frei

Vorangegangene Forschung hatte bereits gezeigt, dass im Stoffwechsel von Patient:innen mit COVID-19 und anderen Virusinfekten während der akuten Phase der Erkrankung ein erhöhter Bedarf an Energieträgern entsteht. Eine der Vorstufen für Stoffwechselfaktoren im Energiesystem der Zellen ist Vitamin B3. Darüber hinaus ist bekannt, dass COVID-19 das Darmmikrobiom negativ verändert. Hier setzt die neue CICR-NAM-Tablette (controlled-ileocolonic-release nicotinamide) aus Kiel an: Sie setzt Nicotinamid gezielt im letzten Abschnitt des Dünndarms und im Dickdarm frei. Dadurch kann das Nicotinamid dort das Darmmikrobiom positiv beeinflussen, den Vitaminmangel ausgleichen und bestimmte Stoffwechselprozesse verstärken.

„Nicotinamid aus herkömmlichen Tabletten wird bereits im Magen und Dünndarm vom Körper aufgenommen, bevor es das Darmmikrobiom erreichen kann“, erläutert Dr. Georg Wätzig, Koordinator der Translationalen Forschung am IKMB, der die Entwicklung der CICR-NAM-Tabletten geleitet und die COVit-2-Studie koordiniert hat. „Mit dieser Studie haben wir einen neuen Ansatz erfolgreich getestet, bei dem Vitamin B3 zunächst geschützt und dann erst im Darm freigesetzt wird.“

Signifikante Alltagsverbesserung durch Nicotinamid nach 2 Wochen

In der COVit-2-Studie untersuchte das Team 900 frisch an COVID-19 Erkrankte in ganz Deutschland, von denen jeweils die Hälfte nach dem Zufallsprinzip für 4 Wochen 2 Nicotinamid-Tabletten (je 500 mg CICR-NAM und herkömmliches Nicotinamid) oder identisch aussehende Placebo-Tabletten einnahm. Die Studie war doppelt verblindet. Die Patient:innen wurden engmaschig in Telefoninterviews zu ihrem Krankheitsverlauf befragt. Viele schickten auch regelmäßig Stuhlproben ein, sodass die Zusammensetzung ihres Darmmikrobioms gemeinsam mit dem klinischen Verlauf untersucht werden konnte.

Die Ergebnisse der COVit-2-Studie zeigen, dass die mit Nicotinamid versorgten Erkrankten mit einem Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe, z.B. Raucher:innen oder Personen mit Vorerkrankungen der Lunge, nach 2 Wochen signifikant häufiger wieder ihre normale körperliche Leistungsfähigkeit zurückerlangt hatten als Patient:innen aus der Placebo-Gruppe. Auch die Fähigkeit zur Bewältigung des normalen Alltags war in der Nicotinamid-Gruppe nach zwei Wochen signifikant besser.

Auch wenn langfristigere Krankheitsfolgen wie Long-COVID und Post-COVID nicht im Fokus der Studie standen, beobachteten die Forschenden bei der Nachbefragung nach 6 Monaten dennoch einen vielversprechenden Trend: Patient:innen, die ein höheres Risiko für Post-COVID hatten und auf Nicotinamid ansprachen, zeigten weniger Post-COVID-Symptome.

Positiver Effekt durch Beeinflussung des Mikrobioms

In der Studie haben die Forschenden außerdem die im Darm lebende Mikrobengemeinschaft genauer untersucht. „Das Mikrobiom von COVID-19-Erkrankten zeigt noch gut 2 Wochen nach Erkrankungsbeginn eine Art Notfallstoffwechsel, bei dem der Körper offensichtlich versucht, die bekannten Defizite bei wichtigen Stoffwechselfaktoren durch die Hochregulierung anderer Stoffwechselprozesse auszugleichen. In der Studiengruppe mit Nicotinamid haben wir diese Veränderungen nicht beobachtet – wahrscheinlich, weil der Mangel durch die Gabe von Nicotinamid behoben werden konnte. Zeitgleich beobachteten wir in diesen Fällen eine schnellere körperliche Erholung. Die positive Beeinflussung des Mikrobioms hängt offenbar mit der schnelleren Erholung zusammen“, erklärt Prof. Philip Rosenstiel, Direktor des IKMB, der die Mikrobiomuntersuchungen geleitet hat.

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Quelle:

Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen

Literatur:

(1)

Schreiber et al. Nat Metab (2025). DOI: 10.1038/s42255-025-01290-1.