Deutschland ist auf extreme Hitzeereignisse nicht ausreichend vorbereitet
Deutschland ist auf extreme Hitzeereignisse wie einen Hitzedom und anhaltende Temperaturen von mehr als 40 Grad bislang unzureichend vorbereitet. Zu diesem Schluss kommen Experten der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) in einer neuen Analyse. „Wenn keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen werden, können in extremen Hitzefällen Zehntausende Todesfälle binnen weniger Tage die Folge sein – und die wären zu vermeiden“, sagt DGG-Präsident Professor Markus Gosch. Eine heute veröffentlichte Arbeit dokumentiert erschreckende Versäumnisse in der deutschen Hitzevorsorge [1]. „Während andere Länder bereits katastrophale Hitzewellen erlebt haben, fehlen in Deutschland grundlegende Vorbereitungen für solche Extremereignisse“, sagt der federführende Autor Prof. Clemens Becker, Leiter der „Unit Digitale Geriatrie“ am Universitätsklinikum Heidelberg.
Ältere Menschen besonders gefährdet bei Hitzewellen
Die Datenanalyse zeigt deutlich, dass ältere Menschen überproportional von hitzebedingten Todesfällen betroffen sind. Die dramatische Zunahme der Sterblichkeit mit dem Alter verdeutlicht die besondere Verantwortung der Geriatrie in dieser Krise. Bei älteren und hochaltrigen Personen sind vor allem physiologische Risikofaktoren zu beachten: verminderte Temperaturregulation, reduziertes Durstempfinden, Medikamenteninteraktionen bei Hitze, häufige Vorerkrankungen sowie eingeschränkte Mobilität und kognitive Beeinträchtigungen.
Weitere Risikogruppen: Kinder, Schwangere, Menschen mit chronischen Erkrankungen
Besonders betroffen sind zudem Menschen mit chronischen Erkrankungen – körperlich wie psychisch – sowie Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere. Auch Menschen, die im Freien arbeiten, etwa in Bau oder Landwirtschaft, sowie Obdachlose gelten als besonders gefährdet. Problematisch ist, dass extreme Hitzeereignisse in Deutschland rechtlich nicht als Katastrophen gelten – verbindliche Maßnahmen fehlen, Zuständigkeiten sind unklar, viele Regelungen sind nur freiwillig. Auch die Kommunikation mit der Bevölkerung sei oft unzureichend geplant.
DGG fordert klare Pläne, Krisenstäbe und Notfallvorsorge
Die DGG empfiehlt, Vorbereitungen auf einen Hitzedom mit mehrmonatigem Vorlauf zu treffen. Hitzeaktionspläne müssen aktualisiert und explizit auf Extremszenarien ausgerichtet werden. Zentrale Notaufnahmen in Ballungsräumen wie Berlin, Ruhrgebiet oder Rhein-Main sollten für viele Hitzschlag-Patient:innen vorbereitet sein. „In alle Schritte für die medizinische Versorgung müssen Altersmedizinerinnen und -mediziner eingebunden sein“, so Gosch. Die Forderungen der DGG im Überblick:
Definition von Extremhitze als Naturkatastrophe
Überarbeitung aller Hitzeaktionspläne
Bildung von Krisenstäben
Datenabgleich zwischen Kassen zur Identifikation von Risikopersonen
Mobile Einsatzteams und Urlaubssperren im Gesundheitswesen
Laienhelfer aktivieren, gekühlte Räume zugänglich machen
Evakuierungspläne für gefährdete Stadtteile
Beschäftigungsverbote bei Außentätigkeiten
Hitzedom: Erfahrungen aus dem Ausland als Warnsignal
Ein Hitzedom entsteht, wenn eine Hochdruckzone Hitze wie eine Kuppel über einem Gebiet einschließt. Dies führt zu lang anhaltenden Temperaturen über 40 Grad, Trockenheit und erheblichen Gefahren für Mensch und Infrastruktur. Länder wie Indien, Kanada oder Saudi-Arabien hatten zuletzt teils mehrwöchige Hitzewellen mit Extremtemperaturen. Besonders der Hitzedom 2021 in Vancouver mit bis zu 49 Grad Celsius gilt als mahnendes Beispiel.
2003: Tausende hitzebedingte Todesfälle auch in Deutschland
Auch in Deutschland gab es schon tödliche Hitzewellen – im Sommer 2003 starben schätzungsweise 7.600 Menschen. Doch laut Umfragen sehen weniger als 20 Prozent der Bevölkerung den Klimawandel als vorrangiges Problem. Das spiegele sich auch in der politischen Praxis wider: Nur 25 von mehreren Tausend Kommunen verfügen derzeit über Hitzeaktionspläne – und diese beinhalten kaum Maßnahmen für Extremsituationen. „Die meisten Regionen in Deutschland sind auf Extremhitze nicht vorbereitet“, sagt Becker. „Wären sie es, könnten sie in Zukunft Zehntausende Todesfälle verhindern.“
Quelle:Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
Literatur:
- (1)
Becker C. Griebe T., Weingart C. Hitzedom in Deutschland und wie gut wir darauf vorbereitet sind, Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2025.