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Nach Aufenthalt auf Intensivstation: Wiedereinstieg in den Alltag fällt oft schwer

Ob nach einer schweren Lungenentzündung, einem Unfall oder nach einem Herzinfarkt. Dem Tod in der Intensivstation von der Schippe zu springen - das klingt, bei allem Unglück, nach einer Geschichte der Rettung. Aber, sagt Prof. Dr. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am LMU Klinikum: „Diese Menschen haben die stärkste Medizin mit viel körperlichem und psychischem Stress erlebt, haben dank der Intensivmedizin überlebt - und sind trotzdem oft unsicher und kommen im Alltag nicht wieder richtig in Tritt.“

PTBS nach Intensivstation: wie therapeutisch vorgehen?

Etwa 20% der Patient:innen entwickeln innerhalb des ersten Jahres nach der Entlassung aus der Intensivstation Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dazu zählen unter anderem Flashbacks, Schlafstörungen und Albträume. Häufig suchen die Betroffenen im weiteren Verlauf ihren Hausarzt auf – sei es wegen der anhaltenden Beschwerden oder weil der Arzt selbst den psychischen Zustand erkennt und aktiv anspricht. Steht schließlich die Diagnose einer PTBS im Zusammenhang mit dem Intensivaufenthalt fest, stellt sich die Frage nach dem weiteren therapeutischen Vorgehen. Eine große Herausforderung besteht darin, dass spezialisierte Psychotraumatolog:innen nur begrenzt verfügbar sind und Termine aufgrund langer Wartezeiten oft erst nach Monaten möglich sind.

Narrative Expositionstherapie: Unordnung im Gedächtniss sortieren

Aus diesem Grund hat das Münchner Forschungsteam eine Intervention entwickelt, die speziell auf die begrenzte Zeit im hausärztlichen Alltag zugeschnitten ist. Grundlage ist die sogenannte Narrative Expositionstherapie (NET). Ziel dieser Methode ist es, eine Art „Unordnung“ im Gedächtnis zu ordnen. Denn bei vielen Betroffenen sind die Erlebnisse auf der Intensivstation und die damit verbundenen Emotionen chaotisch und fragmentiert gespeichert. Kommt es später zu ähnlichen Reizen oder Erinnerungen, entsteht leicht das Gefühl, die damalige Bedrohung sei erneut real – ein typisches Kennzeichen posttraumatischer Belastungsreaktionen. Mit Hilfe der NET sollen diese Erinnerungen durch eine strukturierte Gesprächstechnik in einen klaren, zeitlich und emotional geordneten Zusammenhang gebracht werden. Dadurch können die belastenden Eindrücke an Intensität verlieren und als Teil der persönlichen Biografie integriert werden – ohne den ursprünglichen emotionalen Alarm auszulösen.

Sitzungen dauern nur 30 bis 45 Minuten

„Wir haben die kürzeste Variante der Narrativen Expositionstherapie überhaupt entwickelt“, erklärt Gensichen. Im Schnitt dauert jede Sitzung 30 bis 45 Minuten. In einer kontrollierten Studie [1] erhielten 160 Betroffene die neue Intervention (in 3 Einzelsitzungen) und 159 die Standardbetreuung durch ihre Hausärzt:innen. In den Sitzungen rekonstruierten Hausarzt und Patient die starken, verstörenden Erlebnisse und sortierten diese neu. Zusätzlich erfolgten 7 wöchentliche Telefonvisiten durch eine medizinische Fachangestellte der Hausarztpraxis.

Nachhaltige Wirkung durch Ultrakurzzeit-NET

Das Ergebnis der Studie: Die Ultrakurzzeit-Version der Narrativen Expositionstherapie (NET) konnte sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität von Flashbacks signifikant reduzieren [1]. Zudem veränderte sich die kognitive Verarbeitung der Patient:innen: Viele hörten auf, sich selbst die Schuld an ihrer Erkrankung zu geben. Auch wenn Vermeidungsverhalten und Übererregbarkeit weniger stark beeinflusst wurden, verbesserte sich die allgemeine Stimmungslage spürbar. Ein Jahr nach der Intervention waren die positiven Effekte weiterhin messbar, wenngleich leicht abgeschwächt. „Insgesamt ein beachtliches Ergebnis für eine so kurze Intervention“, resümiert Prof. Jochen Gensichen.

Gut umsetzbar in der hausärztlichen Versorgung

Ein wesentlicher Vorteil der Ultrakurzzeit-NET liegt in ihrer praktischen Anwendbarkeit: Für Hausärzt:innen mit entsprechender Erfahrung ist die Methode leicht erlernbar und lässt sich problemlos in den Praxisalltag integrieren. Die an der Studie beteiligten Ärzt:innen zeigten sich mit der Intervention ebenso zufrieden wie die Patient:innen. „Auch die diagnostischen Grundlagen lassen sich gezielt und fokussiert vermitteln“, betont Gensichen. So könnten Betroffene frühzeitig erkannt und eingeschätzt werden – einschließlich derjenigen, bei denen eine intensivere, spezialisierte Therapie notwendig ist.

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Quelle:

Klinikum der Universität München

Literatur:

(1)

Gensichen J. et al. (2025) Effects of a general practitioner-led brief narrative exposure intervention on symptoms of post-traumatic stress disorder after intensive care (PICTURE): multicentre, observer blind, randomised controlled trial, BMJ 2025; 389, DOI: 10.1136/bmj-2024-082092.