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8 Mythen um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

8 Mythen um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
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Aufklärung ist wichtig – denn in Deutschland leiden etwa 300.000 Menschen an einer CED, also an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Ihre häufigsten Formen sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Betroffene sehen sich immer wieder mit zum Teil verletzenden und falschen Mythen konfrontiert. Dr. Verena Schick, Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie, geht im Folgenden einigen davon auf den Grund:
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1. Mythos: Bis zur Erstdiagnose von CED vergehen Jahre

„Richtig ist, dass die Diagnose einer CED nicht immer einfach ist. Denn oft gleichen die Symptome in der ersten Manifestation denen anderer Erkrankungen. Allerdings stehen Ärzt:innen eine Reihe Verfahren zur Verfügung, um eindeutig und zeitnah eine Diagnose erstellen zu können“, erklärt Dr. Schick. Zuerst wenden sich die Ärzt:innen in einem Anamnesegespräch der persönlichen und familiären Krankheitsgeschichte zu. Anschließend wird bei der körperlichen Untersuchung der Bauch sorgsam abgetastet, um eventuell auftretende Druckschmerzen oder Verhärtungen aufspüren und beurteilen zu können. Außerdem liefern Laboruntersuchungen Hinweise auf entzündliche Ursachen der Beschwerden. Besonderes Augenmerk richten Ärzt:innen dabei auf Parameter, die Entzündungsvorgänge im Körper anzeigen, wie z.B. eine erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen oder eine erhöhte Konzentration des C-reaktiven Proteins sowie auf Hinweise, dass der Körper durch Durchfälle Blut verliert (z.B. niedriger Hämoglobinwert). Sowohl bei einem Morbus Crohn als auch bei einer Collitis Ulcerosa kann zudem der Entzündungsmarker Calprotectin im Stuhl bestimmt und zur Diagnose herangezogen werden (1, 2). Zuletzt können bildgebende Verfahren wie Röntgenuntersuchungen, die Spiegelung des Verdauungstraktes (Endoskopie), der Ultraschall oder die Magnetresonanz- und Computertomographie Hinweise zu Veränderungen der Darmschleimhaut sowie zum Ausmaß der Entzündung. Die Endoskopie bietet darüber hinaus den Vorteil, dass während der Untersuchung kleine Gewebeproben entnommen werden können, um die bei einer CED typischen Veränderungen auch mikroskopisch nachzuweisen (1).

2. Mythos: Eine gesunde Ernährung kann die CED heilen

Regelmäßiges Essen und Trinken ist für Menschen mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung besonders wichtig. Sowohl während eines Schubs als auch in den beschwerdefreien Phasen. „Allerdings gibt es kein Patentrezept für die richtige Ernährung bei CED“, weiß Dr. Schick. Denn jeder Körper reagiere unterschiedlich und vertrage andere Lebensmittel. „Klar ist: Chronisch entzündliche Darmerkrankungen basieren auf einer aus der Balance geratenen Immunantwort. Der Körper sendet kontinuierlich das Signal zur Entzündungsverstärkung. Durch bestimmte Medikamente kann dieses Signal unterbrochen und die Entzündung gestoppt werden. Allein durch Meiden bestimmter Lebensmittel kann dies nicht gelingen, weshalb es auch keine empfohlene Diät für CED-Patient:innen gibt,“ erklärt Dr. Schick. Sofern keine spezifische Krankheitssituation vorliegt, sollten Betroffene eine gesunde, vollwertige Ernährung mit einem ausreichenden Anteil an Obst und Gemüse verzehren.

3. Mythos: CED ist ansteckend

„CED, also Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind auf keinen Fall ansteckend. Es handelt sich um chronisch-entzündliche Erkrankungen, die immunassoziiert sind, deren Entstehung also mit dem körpereigenen Abwehrsystem zu tun hat. Im Gegensatz dazu sind Infektionserkrankungen des Magen-Darm-Traktes, die durch Viren oder Bakterien verursacht werden, ansteckend“, klärt Dr. Schick auf. Die genauen Ursachen für die Entstehung einer CED sind trotz intensiver wissenschaftlicher Forschungen bis heute weitgehend unbekannt. Es wird vermutet, dass das Zusammenwirken mehrerer Faktoren die Entwicklung dieser Erkrankung begünstigt. Das Zusammenwirken von erblichen Anlagen, Infektionen, Lebensstil und Ernährung können die physiologische Darmschleimhautbarriere beeinträchtigen und zu Fehlregulationen des lokalen Immunsystems führen (3-6). „Interessant ist die Beobachtung“, ergänzt Dr. Schick, „dass es geographische Unterschiede bei der Häufigkeit des Auftretens der Erkrankung zu geben scheint.“ So sind Menschen in Nordeuropa oder Nordamerika häufiger von einer chronischen Darmerkrankung betroffen, als Menschen in Südeuropa oder Südamerika (7).
 
 

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4. Mythos: Die durch die CED verursachten Schmerzen sind vergleichbar mit „normalen“ Bauchschmerzen

„Schmerzen sind zwar nicht ständige, aber häufige Begleiter einer CED. Dabei hat der Schmerz ganz unterschiedliche Gesichter: dumpf, stechend, krampfartig, episodenhaft oder dauerhaft“, beschreibt Dr. Schick den Schmerz der Betroffenen. Das Leitsymptom des Morbus Crohn sind Stuhlunregelmäßigkeiten bis hin zu heftigen Durchfällen. Ein Morbus Crohn tritt besonders häufig im Übergang vom Dünndarm zum Dickdarm auf. Dennoch können Entzündungen vom Mund über die Speiseröhre bis zum Enddarm – also im gesamten Verdauungstrakt – auftreten und damit Krankheitssymptome unterschiedlichster Art auslösen (6). Das Leitsymptom der Colitis ulcerosa ist der schleimig-blutige Durchfall. Die Colitis ulcerosa ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die den Enddarm, Teile des Dickdarms oder auch den gesamten Dickdarm betrifft. Die Entzündung ist auf die Schleimhaut beschränkt. Wie auch bei einem Morbus Crohn sind die betroffenen Bereiche von Entzündungszellen übersäht. Dies hat sowohl Auswirkungen auf die Elastizität als auch auf die „Dicke“ der betroffenen Darmwandbereiche (entzündete Bereiche sind verdickt) (8, 9). „Die Symptome und Schmerzen einer CED sind also wesentlich diffuser und intensiver als die bei „normalen“ Bauchschmerzen“, ergänzt Dr. Schick.

5. Mythos: Wenn Betroffene gesund aussehen, sind sie auch wieder gesund

Eine CED beeinflusst das Leben Betroffener meist stark. Nach der Diagnose kann es erst einmal eine Herausforderung sein, die Erkrankung in den eigenen Alltag zu integrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass Magen-Darm-Erkrankungen in den meisten Kulturen immer noch tabubehaftet sind und es unüblich ist, über Blähungen, Durchfall und Bauchschmerzen zu sprechen. „Viele Betroffene ziehen sich bei Schüben, oder wenn es ihnen schlecht geht, zurück. Für Außenstehende ist eine CED daher oft nicht sichtbar“, erklärt Dr. Schick. „Betroffene sehen sich häufig mit gut gemeinten Ratschlägen zum Thema Bauchschmerzen konfrontiert oder ernten böse Blicke, wenn sie z.B. die Behindertentoilette benutzen“, weiß Dr. Schick aus Erfahrungsberichten ihrer Patient:innen. „Wir sollten niemals aufgrund von Äußerlichkeiten urteilen und auch gesund aussehende Menschen nicht vorschnell konfrontieren.“

6. Mythos: Eine CED ist stressbedingt

Die genauen Ursachen der CED sind immer noch unklar. Einen einzelnen Auslöser gibt es nicht, sondern es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. „CED sind multifaktorielle Erkrankungen. Diskutiert werden vor allem eine erbliche Veranlagung, Umwelteinflüsse, Probleme mit der Darmflora und komplexe immunologische Störungen“ erklärt Dr. Schick. „Die Ansicht, dass Stress die Ursache für CED sei, ist immer noch weit verbreitet. Aktuellen Erkenntnissen zufolge ist Stress kein Auslöser der Erkrankung.“ Stress kann allerdings die Symptome einer CED verstärken bzw. einen Schub auslösen.

7. Mythos: Eine CED kann man nicht in den Griff bekommen

Wenn eine CED diagnostiziert wurde, begleitet sie Betroffene ein Leben lang. Denn auch wenn sich Phasen mit Beschwerden und Phasen ohne Beschwerden abwechseln, müssen Patient:innen dauerhaft Medikamente einnehmen. Je nach Schweregrad und Ort der Entzündung können dabei verschiedene Medikamente zum Einsatz kommen. Zur Verfügung stehen Wirkstoffe aus der Gruppe der Aminosalicylate, Kortisonpräparate, Immunsuppressiva sowie biotechnologisch hergestellte Medikamente, die sich Biologika nennen. Auch Dr. Schick bestätigt: „Die CED lässt sich mit wirksamen Therapieoptionen in den Griff bekommen. Generell unterscheiden wir zwischen der Behandlung der akuten Krankheitsaktivität und einer Dauertherapie zur Vermeidung von Schüben. Die Therapieziele sind dabei der Stillstand der aktiven Entzündung und anhaltende Entzündungsfreiheit, die vollständige und dauerhafte Abheilung der Darmschleimhaut, sowie die Ausbreitung der Erkrankung und neue Schübe zu verhindern.“ Durch den Einsatz der diversen medizinischen Therapieformen, denen die Eigenschaft gemein ist, das Entzündungsgeschehen zu hemmen, können somit selbst schwer erkrankte CED-Betroffene eine Lebensqualität erreichen, in der nicht allein die Krankheit ihren Alltag dominiert.
 
 

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8. Mythos: Mit CED ist eine Schwangerschaft nicht möglich

Kinder zu bekommen und eine Familie zu gründen, zählt für viele Menschen zum Wichtigsten und Wertvollsten im Leben. Das ist bei einem Leben mit CED nicht anders. Dr: Schick: „Wichtig ist hierbei eine gute ärztliche Beratung im Vorfeld. Generell ist es wichtig, wie hoch die Krankheitsaktivität momentan ist und welche Medikamente vor, während und nach der Schwangerschaft eingesetzt werden können. Auch die Laborwerte sind relevant, um eventuelle Mangelerscheinungen auszugleichen.“ Bei ungeplanten Schwangerschaften kann die aktuelle Therapie entsprechend angepasst werden. „Denn normalerweise erhalten Frauen im gebärfähigen Alter keine Medikamente, die das Kind gefährden könnten – oder werden zumindest auf das Risiko hingewiesen, verbunden mit der Empfehlung für eine sichere Empfängnisverhütung“, erklärt Dr. Schick. Beruhigend ist für Betroffene auch, dass eine CED nicht direkt vererbbar ist. Allerdings haben Kinder von Morbus-Crohn- bzw. Colitis-ulcerosa-Patient:innen ein erhöhtes Risiko, dieselbe Diagnose zu erhalten. Wenn ein Elternteil an Morbus Crohn erkrankt ist, liegt das Risiko, dass das Kind die Erkrankung ebenfalls entwickelt, bei ca. 13%. Im Falle eines Elternteils mit Colitis ulcerosa hat das Kind ein Risiko von etwa 5%, auch an Colitis ulcerosa zu erkranken (10,11).

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Literatur:

(1) Kucharzik T. et al. Z Gastroenterol 2020 DOI
(2) Bei Colitis ulcerosa aber auch, siehe: Adams SM, Close ED, Shreenath AP. Ulcerative Colitis: Rapid Evidence Review. Am Fam Physician. 
(3) Bonen DK & Cho JH Gastroenterology 2003.
(4) Cho JH. et al. World Journal of Gastroenterology 2008.
(5) Podolsky DK. N Engl J Med 2002.
(6) Neurath MF. Nat Rev Immunol. 2014.
(7) Universitätsklinikum Leipzig, Chronisch entzündliche Darmerkrankungen. 
(8) Dignass A. et al. J Crohns Colitis 2012.
(9) Baumgart DC. et al. Lancet. 2007.
(10) äzq 2016 Patientenleitlinie zur Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression 2. Auflage, Dezember 2016, Version 2. 
(11) Internisten im Netz: Morbus Crohn, Ursachen & Risikofaktoren. 


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