Wenn Hitze krank macht: Schutz vor der größten Gesundheitsgefahr des Klimawandels
Birgit Frohn Dipl. biol.Deutschland schwitzt – auch in unseren Breiten werden die Sommer zusehends heißer und länger. Hitze gehört längst zum Alltag und ist zur Gesundheitsgefahr avanciert. Dagegen sind dringend Strategien erforderlich. Im Fokus steht dabei, das Bewusstsein für die gesundheitlichen Risiken von Hitze zu schärfen und präventives Verhalten zum gezielten Schutz bei hohen Temperaturen zu fördern.
In Deutschland fehlen grundlegende Schutzmaßnahmen gegen Hitze
Hitzewellen sind auch in Deutschland kein seltenes Wetterphänomen mehr. Analysen von Wetterdaten zeigen, dass sich hierzulande die Zahl der Tage mit Temperaturen über 30°C seit den 1950er Jahren verdreifacht hat. Insgesamt gesehen erwärmt sich Europa weltweit am schnellsten. „Entsprechend ist Hitze auch für Menschen in Deutschland das größte durch den Klimawandel bedingte Gesundheitsrisiko“, warnt Dr. Martin Herrmann, Mitbegründer und Vorsitzender von KLUG e. V. (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit). Dennoch fehlen vielerorts grundlegende Schutzmaßnahmen. „Der gesundheitliche Hitzeschutz muss systematisch gestärkt werden“.
„Hitze ist ein Großschadensereignis“
Das sagt Dr. Herrmann aus guten Gründen. Wie hoch die Gefahr ist, haben die vergangenen Hitzesommer gezeigt. So forderte der Sommer 2022 in Deutschland rund 9.100 hitzeassoziierte Todesfälle [1] – erheblich mehr als durch Verkehrsunfälle und Drogenkonsum zusammen. An aktuelleren Belegen mangelt es nicht. Erst kürzlich berichtete Spiegel Online über die Opfer der jüngsten Hitzewelle Ende Juni [2].
Eine erhöhte hitzebedingte Krankheitslast ist laut Dr. Herrmann in nahezu allen Fachgebieten der Medizin auszumachen. „Dies strapaziert die Kapazitäten des ohnehin belasteten Gesundheitssystems weiter“. Hitzeereignisse werden zukünftig an Häufigkeit und Stärke weiterzunehmen. „Bedingt durch die demographische Entwicklung treffen sie eine zunehmend vulnerable Bevölkerung“.
„Hitzewellen gefährden vor allem ältere und chronisch kranke Menschen, belasten das Gesundheitssystem und können sich zu Katastrophenlagen mit großflächigen Versorgungsengpässen entwickeln“.
Ältere und Vorerkrankte sind besonders gefährdet
Mit zunehmendem Alter geht die Fähigkeit zur effektiven Thermoregulation zurück. Zugleich sind Ältere häufiger von Herz-Kreislauf-, Nieren- oder Lungenerkrankungen betroffen, die sich durch Hitzebelastung verschlimmern können. Bestimmte entwässernde oder Blutdruck senkende Medikamente können zudem die körpereigene Wärmeregulation stören. Zudem erhöhen kognitive Einschränkungen, Immobilität und soziale Isolation das Risiko, eine Hitzewelle nicht rechtzeitig wahrzunehmen oder nicht angemessen darauf zu reagieren. „Für diese Betroffenen ist Hitze keine Unannehmlichkeit, sondern ein potenziell lebensbedrohlicher Stressor“, so Herrmann. Die Folgen reichen von Dehydrierung über Herzinfarkt bis hin zum plötzlichen Todesfall.
Neben Älteren sind auch Menschen mit Vorerkrankungen, allen voran der inneren Organe, von den Gefahren betroffen. Schließlich ist der Körper bei großer Hitze extrem gefordert. „Für Menschen mit internistischen Erkrankungen kann das lebensbedrohlich werden – insbesondere, wenn sie Medikamente einnehmen oder unter Kreislaufproblemen leiden“, gibt Prof. Dr. Frank Lammert, Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit und Klima der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zu bedenken. Nach seinen Worten ist besonders bei Diabetes, Herzinsuffizienz oder Nierenerkrankungen erhöhte Vorsicht angezeigt. „Denn Blutzuckerwerte können bei Hitze entgleisen, der Blutdruck kritisch abfallen oder sich bereits bestehende Organschäden verschärfen“.
Wie Hitze an die Nieren geht
Stundenlanges Schwitzen an heißen Tagen führt zu einem erheblichen Flüssigkeitsverlust, der auch bei ansonsten Gesunden bleibende Nierenschäden verursachen kann. Denn durch die Dehydration verringert sich die Durchblutung der Nieren und die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) sinkt ab. „In Folge geht die Urinproduktion zurück, während die Konzentration von Harnsäure, Entzündungsfaktoren und oxidativem Stress im Körper ansteigt“, so Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Direktorin der I. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Mainz. Besonders gefährdet, zu wenig zu trinken, sind Kinder, Kranke, Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen wie Demenz und Hochbetagte. „Doch auch wer bewusst wenig trinkt, um nachts nicht mehrfach auf die Toilette zu müssen, etwa bei Blasenschwäche oder vergrößerter Prostata, hat ein erhöhtes Risiko“. Aufpassen, so die Nephrologin weiter, müssen auch alle, die dauerhaft Diuretika, ACE-Hemmer, AT1-Blocker oder NSAR einnehmen: „Sie können die Selbstregulation der Nierendurchblutung stören und sollten in Hitzeperioden mit ärztlicher Rücksprache eventuell reduziert oder pausiert werden“.
Dehydrierung: Symptome und Gegenmaßnahmen
Um einer Dehydrierung vorzubeugen, sollten deren Warnzeichen bekannt sein. Dabei handelt es sich um Schwäche, Kopfschmerzen, Benommenheit, Muskelkrämpfe und dunkel gefärbten hochkonzentrierten Urin. Vorbote kann auch ein plötzlicher Gewichtsverlust sein: „Mehr als zwei bis drei Kilogramm innerhalb eines kurzen Zeitraums, etwa eines Tages, deutet auf einen erheblichen Flüssigkeitsverlust hin“. Der Hautfalten-Test liefert ebenso Hinweise: Bleibt eine am Handrücken gezogene Hautfalte stehen, ist dies ein Zeichen für Flüssigkeitsmangel. Um diesen auszugleichen, genügt Wasser allein nicht. „Mit dem Schweiß verliert der Körper auch Elektrolyte, vor allem Natrium und Chlorid“. Prof. Dr. Menke empfiehlt daher mineralstoffreiche Getränke, mit einer Prise Salz angereichertes Wasser oder in Apotheken erhältliche WHO-Trinklösungen.
Aufpassen bei kardiovaskulären Medikamenten
Wie gefährlich Hitze bei Herz- und Gefäßerkrankungen sind, ist bekannt. Deren Medikation ist allerdings ebenso temperaturempfindlich. Denn bei Temperaturen über 25°C verändert sich die chemische Stabilität. Medikamente wie Acetylsalicylsäure, orale Antikoagulanzien, Clopidogrel, Ramipril, Betablocker oder Diuretika wirken dann möglicherweise nicht mehr wie vorgesehen. Entsprechend sollten diese bei anhaltender Hitze kühl gelagert werden. Doch Hitze beeinflusst auch die Metabolisierung von Medikamenten. Sie kann etwa die Wirkung von blutdrucksenkenden Mitteln, von Ramipril oder Diuretika verstärken sowie das Risiko für Blutungen bei Clopidogrel, ASS und NOAK erhöhen.
Hohe Temperaturen können auch ins Auge gehen
Die Erderwärmung durch den Klimawandel, so Prof. Dr. Gerd Geerling, Direktor der Universitäts-Augenklinik Düsseldorf, hat auch langfristige Auswirkungen auf die Augengesundheit [3]. „So nehmen Oberflächenerkrankungen der Augen wie allergische Bindehautentzündungen und Keratoconjunctivitis sicca zu, da Hitze den Tränenfilm auf dem Auge schneller verdunsten lässt“. Das Risiko für Infektionen und Entzündungen am Auge steigt ebenso mit jedem Grad Celsius. Gute Hygiene im Umgang mit Kontaktlinsen und konsequente Anwendung von antiinfektiösen Augentropfen bei Erkrankungen der Augen sind deshalb laut Prof. Geerling obligat.
Lange ignorierte Gefahr
Bis vor wenigen Jahren wurde die zunehmende Bedrohung durch Hitze als Folge der Erderwärmung in der Gesellschaft, aber auch im Gesundheitssektor nicht ernst genommen. Erst 2019 setzte die Bundesärztekammer diese Thematik auf die Agenda und initiierte eine Arbeitsgruppe für Klimawandel und Gesundheit. Health for Future und KLUG e.V. haben die Gesundheitsfolgen der Klimakrise daraufhin im Gesundheitssektor zum Thema gemacht. 2021 wurde dann das erste Hitzeaktionsbündnis gegründet. „Die Sensibilisierung für das Thema ist mithin bereits gelungen“, so Dr. Herrmann. Nun müssen Kompetenzen und Strukturen zur Umsetzung ebenso wachsen. Im medizinischen Alltag kann dies durch klimabewusste Medikamentenwahl, notwenige Dosierungsanpassungen sowie eine gesündere, pflanzenbetonte Ernährung in Versorgungseinrichtungen erfolgen.
Allgemeine Tipps zum Hitzeschutz der Fachgesellschaften
DGIM, DGfN, DOG und DGG haben eine Reihe von Empfehlungen parat, um Hitzephasen zu trotzen [5-8]:
Ausreichend und regelmäßig trinken, auch ohne Durstgefühl, ist selbstverständlich. Wichtig ist darüber hinaus, mineralstoffreiche und isotonische Getränke zu bevorzugen und möglichst lauwarm zu trinken. Bei Herz- oder Nierenerkrankungen sollte die individuelle Trinkmenge unbedingt ärztlich abgeklärt werden.
Tagesablauf anpassen und körperliche Anstrengungen in der heißesten Tageszeit unbedingt vermeiden.
Aktive Kühlung durch Kopfbedeckung, lauwarmes Duschen, feuchte Tücher oder kühlende Fußbäder. Leichte, atmungsaktive Kleidung unterstützt die körpereigene Temperaturregulation zusätzlich.
Diabetiker:innen und Herz-Kreislauf-Patient:innen sollten bei Hitze häufiger messen: Ideal sind zwei bis drei Blutzuckerkontrollen und mindestens eine Blutdruckmessung pro Tag.
Medikamente regelmäßig überprüfen, da bei Hitze eine Anpassung der Dosis nötig werden kann.
Bei venösen Erkrankungen trotz Hitze die Kompressionsstrümpfe nicht weglassen und die Beine hochlagern, um Schwellungen zu vermeiden.
Jährlicher Hitzeaktionstag am 4. Juni
Im Rahmen dieser Initiative zur gesundheitlichen Vorsorge in Zeiten des Klimawandels wird jährlich jeweils am 4. Juni gezielt über Hitzefolgen und deren Risiken informiert. Der Hitzeaktionstag fand dieses Jahr zum dritten Mal statt. Organisiert wird er von der Bundesärztekammer und KLUG e. V.
Quelle:Vortrag „Herausforderung Hitze“ auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) am 03.05.2025.
Literatur:
- (1)
Hitzeassoziierte Mortalität im Extremsommer 2022 – Eine Analyse auf Basis täglicher Daten, Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 79-85; DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0254.
- (2)
Jüngste Hitzewelle: Forschende schreiben Mehrheit der Toten dem Klimawandel zu - DER SPIEGEL, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/wissenschaft/juengste-hitzewelle-forschende-schreiben-mehrheit-der-toten-dem-klimawandel-zu-a-750a0853-a7fa-4740-844f-0b33efab46ff, letzter Zugriff: 09.07.25.
- (3)
Roth, M., Geerling, G. (2025) Klimawandel – Konsequenzen für die Augenheilkunde, in: Die Ophthalmologie 2025, Bd. 122 (1). DOI: 10.1007/s00347-024-02168-5.
- (4)
Herrmann M., Schulz C. M.(2025) Klimaresilienz und Gesundheit – die Vitalparameter des Planeten leuchten rot. Die Innere Medizin 2025; 66: 365 – 372, DOI: 10.1007/s00108-025-01867-8
- (5)
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN) vom 27.05.2025, abrufbar unter: https://www.dgfn.eu/pressemeldung/pm-nieren-in-zeiten-extremer-hitze-bewusst-schuetzen.html, letzter Zugriff: 16.07.2025.
- (6)
Pressemitteilung der DGIM vom 30.05.2025, abrufbar unter: https://www.dgim.de/fileadmin/user_upload/PDF/Pressemeldungen/20250530_PM_Hitzeaktionstag_F.pdf, letzter Zugriff: 16.07.2025.
- (7)
Pressemitteilung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG) vom 30.05.2025, abrufbar unter: https://dog.org/pressemeldungen/augen-leiden-unter-hohen-temperaturen, letzter Zugriff: 16.07.2025.
- (8)
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) vom 2.06.2025, abrufbar unter: https://www.gefaesschirurgie.de/fileadmin/dgg/news/pressemitteilungen/PM_DGG_Hitze_Juni_2025_F.pdf, letzter Zugriff: 16.07.2025.