Klimawandel und Gesundheit – was auf das deutsche Gesundheitssystem zukommt
David Meier M.Sc.Der Klimawandel ist längst nicht mehr nur ein Umweltproblem – er entwickelt sich zu einer der größten Gesundheitsbedrohungen des 21. Jahrhunderts. Während die Weltgemeinschaft um das 1,5-Grad-Ziel ringt, zeichnet sich bereits ab, dass sich Deutschland und sein Gesundheitssystem auf drastische Veränderungen einstellen muss. Was bedeutet eine immer wahrscheinlicher werdende Erwärmung des Klimas um mindestens drei Grad Celsius bis 2100 für Ärzt:innen, ihre Patient:innen und das Gesundheitssystem in Deutschland insgesamt?
Das 1,5-Grad-Ziel ist praktisch nicht mehr erreichbar
Die ernüchternde Realität lässt sich nicht länger beschönigen: Das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel, den globalen menschengemachten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad bis zum Jahr 2100 zu begrenzen, ist praktisch nicht mehr zu schaffen. 2024 war das erste Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur kontinuierlich über 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau lag [1].
Besonders alarmierend ist die Einschätzung der Wissenschaft: Laut einer Umfrage des Guardian erwarten nur noch etwa fünf Prozent der befragten Klimaforscher:innen eine Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels [2]. Das verfügbare Kohlenstoffbudget für eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, ist auf nur noch 200 Gigatonnen CO₂ ab Anfang 2023 geschrumpft [3] – bei der aktuellen weltweiten Emissionsrate von 40 Gigatonnen pro Jahr wäre dieses Budget bereits in wenigen Jahren aufgebraucht.
Erwärmung um 2,6 bis 3,1°C als realistischstes Szenario
Der UNEP (United Nations Environment Programme) Emissions Gap Report 2024 zeichnet folgende realistische Szenarien: Bei Fortsetzung der aktuellen Politik steuert die Welt auf eine Erwärmung um 3,1°C zu. Selbst bei vollständiger Umsetzung aller nationalen Klimazusagen würde ein Temperaturanstieg von 2,6 bis 2,8°C bis zum Jahr 2100 erfolgen [4].
Deutschland im Klimawandel: Hitze, Dürre und Starkregen
Eine Erwärmung um 2,6 bis 3,1°C würde fundamentale und größtenteils irreversible Veränderungen des Klimasystems bedeuten. Mehrere kritische Kipppunkte würden überschritten werden. Der grönländische Eisschild könnte unwiderruflich zu schmelzen beginnen, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 0,6 bis zu einem Meter führen würde. Zusätzlich würden große Teile des Amazonas-Regenwaldes unwiderruflich austrocknen und die Permafrostböden große Mengen an CO₂ und Methan freisetzen, was die Erwärmung des Klimas zusätzlich beschleunigt [5].
Auch Deutschland bliebe von diesen Veränderungen nicht verschont – im Gegenteil. Europa erwärmt sich schneller als der globale Durchschnitt und für Deutschland prognostizieren Klimamodelle bis 2100 einen Temperaturanstieg um bis zu 8,5°C [6]. Die Folgen wären ein vermehrtes Auftreten von Hitzewellen und Dürren sowie gleichzeitig eine Häufung von Starkregenereignissen, da wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann. Diese Kombination aus längeren Dürreperioden und intensiverem Starkregen würde Land- und Forstwirtschaft vor existenzielle Herausforderungen stellen. Auch für die gesamte Wirtschaft wären die Folgen verheerend: Bis 2050 rechnen Expert:innen in Deutschland mit volkswirtschaftlichen Schäden zwischen 280 und 900 Milliarden Euro. Bereits zwischen 2000 und 2021 entstanden durch Klimafolgen Schäden von ca. 145 Milliarden Euro [7].
Herausforderungen für die medizinische Versorgung
Hitze
Auch für das deutsche Gesundheitssystem bedeuten diese Entwicklungen eine fundamentale Herausforderung. Bereits heute sterben jährlich etwa 3.000 Menschen in Deutschland durch Hitze [8]. Häufige Gründe sind dabei hitzebedingte Erkrankungen wie Hitzschlag und Dehydration sowie bestehende Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Nierenerkrankungen, die durch die Hitze verschlimmert werden. Davon besonders betroffen sind ältere Menschen über 65 Jahre, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung aktuell bei etwa 23% liegt und sich voraussichtlich bis 2070 auf ca. 30% erhöhen wird [9]. Das Zusammenspiel aus demographischer Entwicklung und einer Temperaturerhöhung in Deutschland wird so in einer 3°C wärmeren Welt zu einer Vervielfachung der Zahl der Hitzetoten führen.
Infektionskrankheiten
Darüber hinaus werden wärmere Temperaturen dazu führen, dass neue Infektionskrankheiten Deutschland erreichen und sich zunehmend verbreiten. Ein Beispiel dafür ist die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Zecken sind ab etwa 5 bis 7°C aktiv, darunter verfallen sie in eine Winterstarre. Durch den Klimawandel verursachte mildere Winter führen schon jetzt zu einer immer längeren Zeckensaison, wodurch Zecken früher im Jahr aktiv werden und länger im Jahr aktiv bleiben können. Dadurch kommt es zu einer zunehmenden Erweiterung der FSME-Risikogebiete in Deutschland und zu einer immer höheren Anzahl an gemeldeten Fällen. Im Jahr 2024 gab es in Deutschland 686 FSME-Fälle, der bisher zweithöchste Stand seit Beginn der Datenerfassung [10]. Mit insgesamt 183 Risikogebieten ist FSME zudem kein rein süddeutsches Problem mehr. Nahezu die Hälfte aller Stadt- und Landkreise in Deutschland ist mittlerweile betroffen [11].
Ähnlich wird es sich in Zukunft bei durch Mücken übertragenen Krankheiten verhalten. Der Klimawandel ermöglicht es invasiven Mückenarten wie der Asiatischen Tigermücke, sich in neuen Gebieten, einschließlich Deutschland, anzusiedeln und zu vermehren. Dadurch werden sich bisher in tropischen Regionen verortete Erkrankungen, wie das Dengue-Fieber, das Zika-Virus, das Chikungunya-Fieber und das West-Nil-Virus zunehmend auch in Deutschland verbreiten und zu gängigen Erkrankungen werden.
Hautkrebs
Auch auf die Zahl der Hautkrebserkrankungen in Deutschland wird die Klimaerwärmung Einfluss haben. Seit dem Jahr 2005 sind die Betroffenenzahlen bei schwarzem Hautkrebs (Melanom) um 121% und bei weißem Hautkrebs sogar um 186% gestiegen, sodass 2023 mehr als 417.000 Menschen mit der Diagnose Melanom und über 1,8 Millionen Menschen mit weißem Hautkrebs in Deutschland lebten [12]. Die Todesfallzahlen entwickelten sich ähnlich: Beim Melanom stiegen sie zwischen 2005 und 2023 um 36%, beim weißen Hautkrebs sogar um 141%. Diese Entwicklung wird sich durch den Klimawandel voraussichtlich weiter verschärfen, da wissenschaftliche Modelle für eine um 3°C wärmere Welt weniger starke Bewölkung und längere Sonnenscheindauer prognostizieren, was zu einer erhöhten UV-Belastung führt. Zusätzlich kann der Klimawandel zu einer Verdünnung der Ozonschicht über Nordeuropa und damit zu einer Intensivierung der UV-Strahlung führen. Für Europa wird bis 2100 ein durchschnittlicher Anstieg der Fälle von nicht-melanozytärem Hautkrebs von etwa acht Prozent pro Jahr erwartet. Besonders gefährdet sind Berufsgruppen, die viel im Freien arbeiten – wie Dachdecker, Bauarbeiter, Landwirte, Gärtner, Seeleute und Briefträger –, deren jährliche UV-Strahlenbelastung oft drei- bis fünfmal höher liegt als die von Beschäftigten in Innenräumen [12].
Besonders betroffene Bevölkerungsgruppen
Daneben werden auch diverse weitere Krankheiten durch den Klimawandel zunehmen. Es wird zu einer höheren Belastung für Allergiker:innen kommen, da der Klimawandel die Pollensaison verlängert. Außerdem sind auch die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit nicht zu unterschätzen. Ungefähr zwei Drittel der Jugendlichen haben bereits heute Angst vor dem Klimawandel [13]. Nach Extremwetterereignissen treten gehäuft posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen auf. Da diese Ereignisse in Zukunft deutlich häufiger werden, ist auch damit zu rechnen, dass psychische Probleme in der Bevölkerung in Zukunft zunehmen werden.
Von all diesen Erkrankungen werden besonders vulnerable Gruppen überproportional betroffen sein: Ältere Menschen über 65 Jahre mit ihrer dysfunktionalen Thermoregulation, Säuglinge und Kleinkinder mit unreifen Kühlmechanismen und besonders empfindlicher Haut gegenüber UV-Strahlung, Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, HIV oder Demenz sowie sozial benachteiligte Gruppen wie Wohnungslose oder Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status.
Strukturelle Überlastung des Gesundheitssystems
Die heutige Infrastruktur des Gesundheitssystems wäre diesen Herausforderungen nicht gewachsen. Krankenhäuser verbrauchen aktuell ca. 10.079 kWh pro Bett und Jahr – mehr als doppelt so viel wie ein Dreipersonenhaushalt [14]. Die Kosten für Klimatisierung und Kühlung werden erheblich zunehmen, während gleichzeitig die Nachfrage nach medizinischen Leistungen steigt. Zusätzlich verschärfen sich die Finanzierungsprobleme: Während die Investitionsquote der Länder für die Krankenhäuser im Jahr 1972 noch bei 25% lag, belief sie sich im Jahr 2021 auf nur noch ca. 3% [15]. Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen erfordern jedoch Investitionen im Milliardenbereich, die bei der aktuellen Finanzierungsstruktur kaum zu stemmen sind.
Der Weg zu einem klimaresilienten Gesundheitssystem
Das deutsche Gesundheitssystem steht vor einem doppelten Transformationsauftrag: Einerseits muss es sich auf die dramatischen gesundheitlichen Folgen einer Erwärmung um bis zu 3°C vorbereiten, andererseits trägt es selbst erheblich zur Klimakrise bei. Mit 5% der nationalen Treibhausgasemissionen – etwa 35 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr (vergleichbar mit den Gesamtemissionen der Schweiz) – ist das deutsche Gesundheitswesen ein bedeutender Mitverursacher des Problems, das es gleichzeitig zu bewältigen hat [16].
Diese paradoxe Situation erfordert eine grundlegende Neuausrichtung: Während strukturelle Anpassungen wie die flächendeckende Klimatisierung von Gesundheitseinrichtungen, die Fortbildung des medizinischen Personals für klimabedingte Erkrankungen und der Aufbau von Frühwarnsystemen für neue Infektionskrankheiten unumgänglich sind, müssen diese Maßnahmen klimaneutral umgesetzt werden. Der vom Expert:innenrat „Gesundheit und Resilienz“ der Bundesregierung geforderte Weg zur Klimaneutralität bis 2040 durch nachhaltige Lieferketten, klimabewussten Einsatz von Medikamenten und regionale Produktionskapazitäten zeigt, dass sich Klimaschutz und eine Stärkung der Gesundheitsversorgung nicht zwangsläufig ausschließen [16]. Der Erfolg dieser Transformation hängt jedoch von politischem Willen, ausreichender Finanzierung und der Erkenntnis ab, dass Gesundheitsschutz und Klimaschutz im 21. Jahrhundert untrennbar miteinander verbunden sind.
Literatur:
- (1)
Tagesschau: 1,5-Grad-Marke 2024 erstmals überschritten, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/wissen/klima/copernicus-bericht-2024-100.html, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (2)
Guardian: World’s top climate scientists expect global heating to blast past 1.5C target, abrufbar unter: https://www.theguardian.com/environment/article/2024/may/08/world-scientists-climate-failure-survey-global-temperature, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (3)
Forster P. M. et al. (2023): Indicators of Global Climate Change 2022: Annual update of large-scale indicators of the state of the climate system and the human influence, Earth System Science Data, DOI: 10.5194/essd-2023-166.
- (4)
United Nations Environment Programme (2024): Emissions Gap Report 2024: No more hot air … please! With a massive gap between rhetoric and reality, countries draft new climate commitments. Nairobi, DOI: 10.59117/20.500.11822/46404.
- (5)
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) Sixth Assessment Report: Ocean, Cryosphere and Sea Level Change, Climate Change 2021, abrufbar unter: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/chapter/chapter-9, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (6)
Umweltbundesamt: Zu erwartende Klimaänderungen bis 2100, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimawandel/zu-erwartende-klimaaenderungen-bis-2100, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (7)
Quarks: So teuer werden die Folgen des Klimawandels, abrufbar unter: https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/so-teuer-werden-die-folgen-des-klimawandels, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (8)
Bundesministerium für Gesundheit: Gesundheitsrisiko Hitze, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/hitze.html, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (9)
Statista: Prognose des Anteils der Bevölkerung ab 65 Jahren in Deutschland von 2022 bis 2070, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/196598/umfrage/prognose-des-anteils-der-bevoelkerung-ab-65-jahren-in-deutschland, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (10)
Robert Koch-Institut. FSME: Risikogebiete in Deutschland. Epid Bull. 2025;38:31.
- (11)
Robert Koch-Institut. FSME: Risikogebiete in Deutschland. Epid Bull 2025;4:1–75.
- (12)
BARMER-Arztreport 2025, abrufbar unter: https://www.barmer.de/resource/blob/1304178/7e8ca88a40e684661290308197e80148/dl-pressemappe-arztreport-2025-data.pdf, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (13)
Barmer: Klima-Angst und Klima-Handeln: Ergebnisse der SINUS-Jugendumfrage 2023-2024, abrufbar unter: https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/mensch/gesundheit-2030/nachhaltigkeit/klima-angst-1072176, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (14)
Deutsches Krankenhaus Institut: Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern: Status quo, Maßnahmen und Investitionskosten, abrufbar unter: https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/1_DKG/1.7_Presse/1.7.1_Pressemitteilungen/2022/2022-07-19_DKI-Gutachten_Klimaschutz_in_deutschen_Krankenha__usern.pdf, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (15)
Bundesministerium für Gesundheit: Krankenhausfinanzierung, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/krankenhausfinanzierung.html, letzter Zugriff: 29.09.2025.
- (16)
Stellungnahme des ExpertInnenrats „Gesundheit und Resilienz“, Das Gesundheitswesen: Mitverursacher des Klimawandels – und Teil der Lösung, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/976074/2335770/edb0e80a6e073200e918a3528e68c98/2025-02-19-expertinnenrat-data.pdf?download=1, letzter Zugriff: 29.09.2025.