Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes): Physiologische Insulinresistenz wird pathologisch
Nina HaußerUngefähr 5 von 100 Frauen leiden während ihrer Schwangerschaft an Gestationsdiabetes. Was sind die Ursachen für die Entstehung eines Schwangerschaftsdiabetes? Wie wird er erkannt und wie sieht die Behandlung aus? Welche Folgen hat die Stoffwechselerkrankung für Mutter und Kind? All diese Fragen haben wir hier für Sie beantwortet!
Was ist Schwangerschaftsdiabetes?
Als Gestationsdiabetes oder Schwangerschaftsdiabetes (GDM) wird eine während der Gravidität neu auftretende Störung des Glukosestoffwechsels bezeichnet. Die Diagnosestellung erfolgt durch einen 75-g-oralen Glukosetoleranztest unter standardisierten Bedingungen, wobei die Glukosemessung qualitätsgesichert aus venösem Plasma durchgeführt wird. Bereits das Überschreiten eines einzigen Grenzwertes führt zur Diagnose. Die heute gültigen Diagnosekriterien entstammen dem internationalen Konsens der IADPSG (International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups) und basieren auf den Erkenntnissen der HAPO-Studie, die den Zusammenhang zwischen erhöhten Glukosewerten und ungünstigen Schwangerschaftsverläufen bei Mutter und Kind untersuchte.
Wie häufig ist Schwangerschaftsdiabetes?
Die Prävalenz des Gestationsdiabetes variiert erheblich je nach untersuchter Population, Screening-Verfahren und angewendeten diagnostischen Kriterien. Internationale Studien zeigen eine Spannbreite zwischen 1,9% und 25%, mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von etwa 17% bei Frauen im gebärfähigen Alter. In den letzten 15 Jahren ist weltweit ein deutlicher Anstieg der GDM-Häufigkeit zu verzeichnen. Dies resultiert einerseits aus der Einführung neuer diagnostischer Grenzwerte (IADPSG-Kriterien), andererseits aus der Zunahme von Risikofaktoren wie höherem mütterlichem Alter und steigender Adipositas-Prävalenz. Die Implementierung der IADPSG-Kriterien führte beispielsweise zu Prävalenzsteigerungen von 25% in Italien, 35% in Schweden und sogar einer Verdreifachung in China. In Deutschland lag die GDM-Prävalenz 2016 bei 5,38% aller Geburten, was 40.648 betroffenen Müttern bei insgesamt 758.783 erfassten Geburten entspricht.
Was sind Ursachen und Risikofaktoren für Schwangerschaftsdiabetes?
Die wichtigsten etablierten Risikofaktoren für GDM umfassen:
Familiäre Diabeteserkrankungen
Ethnische Zugehörigkeit: Frauen aus dem Mittleren Osten, Süd- und Ostasien sowie Afrika weisen das höchste Erkrankungsrisiko auf, während Kaukasierinnen am seltensten betroffen sind.
Mütterliches Alter: Das GDM-Risiko steigt kontinuierlich mit dem mütterlichen Alter an - von 8,5% bei 25-Jährigen auf 17,4% bei 40-Jährigen.
Body-Mass-Index (BMI): Der präkonzeptionelle BMI stellt einen der Haupteinflussfaktoren dar. Eine Metaanalyse mit 670.000 Patient:innen zeigte deutliche Unterschiede: Während untergewichtige Frauen ein reduziertes Risiko haben, steigt die Odds Ratio bei Übergewicht auf 1,97, bei moderater Adipositas auf 3,01 und bei morbider Adipositas auf 5,55. Bereits eine BMI-Zunahme um 1 kg/m² erhöht die GDM-Prävalenz um 0,92%.
Vorangegangene GDM-Episoden: Ein vorangegangener GDM stellt den stärksten Prädiktor dar - das Wiederholungsrisiko ist 16-fach erhöht.
Wie entsteht Schwangerschaftsdiabetes?
Der Gestationsdiabetes weist pathophysiologische Ähnlichkeiten zum Typ-2-Diabetes auf und entsteht durch das komplexe Zusammenspiel genetischer Prädisposition, metabolischer Faktoren und schwangerschaftsspezifischer Veränderungen. Grundlegend liegt eine bereits vor der Konzeption bestehende chronische Insulinresistenz vor, die durch die ab der 20. Schwangerschaftswoche physiologisch zunehmende Insulinresistenz zusätzlich verstärkt wird. Diese doppelte metabolische Belastung überfordert die endogene Insulinsekretion, was zu einem relativen Insulinmangel und konsekutiver Hyperglykämie führt. Neben hormonellen Schwangerschaftsveränderungen tragen veränderte Freisetzungsmuster von Adipokinen und Zytokinen aus Fettgewebe und Plazenta zur Pathogenese bei - charakteristisch sind verminderte Adiponektin-Spiegel, erhöhte Leptin- und TNF-α-Konzentrationen. Genomweite Assoziationsstudien belegen die Beteiligung derselben Kandidatengene wie beim Typ-2-Diabetes. Der klassische GDM gilt daher als Form des Prä-Typ-2-Diabetes mit ausgeprägter Insulinresistenz und gestörter Beta-Zellfunktion, insbesondere einem Frühphasen-Sekretionsdefekt. Da diese chronische Funktionsstörung oft erst durch das routinemäßige Schwangerschaftsscreening erkannt wird und die zugrundeliegende Insulinresistenz bei bestehender Prädisposition progressiv verläuft, kommt der langfristigen Betreuung betroffener Frauen besondere Bedeutung in der Typ-2-Diabetes-Prävention zu.
Welche Folgen kann ein Schwangerschaftsdiabetes für Mutter und Kind haben?
Maternale Komplikationen während der Schwangerschaft
Erhöhtes Infektionsrisiko: Harnwegsinfekte, Candidainfektionen, Periodontitis
Schwangerschaftskomplikationen: Frühgeburt vor der 37. SSW, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie
Geburtskomplikationen: Erhöhte Sectio-Rate, höhergradige Geburtsverletzungen, postpartale transfusionspflichtige Blutungen
Psychische Belastung: Erhöhte Depressionsprävalenz während und nach der Schwangerschaft
Maternale Langzeitfolgen
Metabolisches Syndrom: Erhöhtes Risiko, besonders bei erhöhten Nüchternblutzuckerwerten beim oGTT
Kardiovaskuläres Risiko: Deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bereits in jüngerem Alter
GDM-Wiederholungsrisiko in Folgeschwangerschaften
Fetale und neonatale Komplikationen
Diabetische Fetopathie durch fetalen Hyperinsulinismus: Makrosomie bzw. „large for gestational age“ (LGA), erhöhter fetaler Hämatokrit, reduzierte Surfactantbildung
Neonatale Komplikationen: Hypoglykämien, Atemstörungen, Polyglobulie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, Hyperbilirubinämie
Was sind Symptome von Schwangerschaftsdiabetes?
Meist treten in Folge des Gestationsdiabetes keine Symptome auf, weshalb die Erkrankung ohne entsprechende Untersuchungen unerkannt bleiben kann. Steigt der Blutzuckerspiegel akut stark an, kann es zu folgenden Beschwerden kommen:
Müdigkeit
Schwäche
starker Durst
Da diese Beschwerden jedoch nicht spezifisch sind, werden sie häufig als Schwangerschaftssymptome gedeutet.
Wie wird Schwangerschaftsdiabetes diagnostiziert?
Seit 2012 wird Schwangeren ohne bekannten Diabetes gemäß den Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ein zweistufiges Screening angeboten. Dieses besteht aus einem Vortest mit 50g Glukose (Glucose-Challenge-Test, GCT), der unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird. Bei auffälligem Befund folgt ein diagnostischer Test mit 75g Glukose (oraler Glukosetoleranztest, oGTT).
Im Gegensatz zu den Mutterschafts-Richtlinien empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie für Gestationsdiabetes die direkte Durchführung des diagnostischen 75-g-oGTT bei allen Schwangeren zwischen 24+0 und 27+6 SSW. Diese Empfehlung begründet sich durch die fragwürdige Validität des 50-g-GCT und fehlende aktuelle Daten zur Sensitivität des Vortests.
Diagnostische Grenzwerte und Kriterien
Die in Deutschland gültigen Grenzwerte des 75-g-oGTT entsprechen den IADPSG-Kriterien, die auf der HAPO-Studie basieren. Der Test muss unter standardisierten Bedingungen morgens nüchtern durchgeführt werden. Ein GDM wird diagnostiziert, wenn mindestens einer der folgenden Werte im venösen Plasma erreicht wird:
Nüchtern: ≥ 92 mg/dl (5,1 mmol/l)
Nach 1 Stunde: ≥ 180 mg/dl (10,0 mmol/l)
Nach 2 Stunden: ≥ 153 mg/dl (8,5 mmol/l)
Deutlich höhere Werte - nüchtern ≥ 126 mg/dl (7,0 mmol/l) oder 2-Stunden-Wert ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) beziehungsweise HbA1c ≥ 6,5% - weisen auf einen bereits vor der Schwangerschaft bestehenden Diabetes hin. In solchen Fällen erfolgt die weitere Klassifizierung durch Bestimmung spezifischer Autoantikörper und gegebenenfalls genetische Untersuchungen zur Differenzierung zwischen Typ-1-, Typ-2-Diabetes oder MODY-Formen.
Wie wird Schwangerschaftsdiabetes therapiert?
Nicht-medikamentöse Therapie
Körperliche Aktivität: Regelmäßige körperliche Bewegung stellt eine zentrale Säule der GDM-Therapie dar. Besonders effektiv ist zügiges Spazierengehen von mindestens 30 Minuten, dreimal wöchentlich. Dies verbessert die Insulinsensitivität, reduziert die LGA-Rate und das Sectio-Risiko und kann die Insulinpflichtigkeit verringern. Als Alternative eignen sich aerobes Ausdauertraining oder Widerstandsübungen mit elastischen Bändern.
Ernährungstherapie: Die individuelle Ernährungsberatung erfolgt als erste therapeutische Maßnahme. Empfohlen wird eine Nährstoffverteilung von 40-50 % Kohlenhydraten, 20% Proteinen und 30-35% Fetten. Wichtig sind Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index und hohem Ballaststoffanteil. Die Nahrungsaufnahme sollte auf 5-6 Mahlzeiten täglich aufgeteilt werden, wobei die Kohlenhydratmenge zum Frühstück reduziert werden sollte.
Insulintherapie
Eine Insulintherapie ist erforderlich, wenn 50% der Messwerte innerhalb einer Woche überschritten werden oder wiederholte Nüchternwerte >110 mg/dl auftreten. Etwa 20-30% der Schwangeren mit GDM benötigen Insulin. Die Indikation sollte nach Ausschöpfung der Basismaßnahmen innerhalb von zwei Wochen sorgfältig geprüft werden.
Wie erfolgt die Nachsorge?
Bei etwa einem Viertel bis zu einem Drittel der Frauen normalisiert sich die Glukosetoleranz nach einem GDM nicht vollständig. Das Risiko, in den folgenden Jahren einen manifesten Diabetes zu entwickeln, ist um das 7-8-fache erhöht. Innerhalb der ersten Dekade nach der Schwangerschaft erkrankt etwa die Hälfte der betroffenen Frauen an Diabetes mellitus. Besonders gefährdet sind Frauen mit Adipositas, familiärer Diabetesbelastung und erforderlicher Insulintherapie während der Schwangerschaft.
Postpartale Kontrolle
Sechs bis zwölf Wochen nach der Entbindung ist unabhängig vom Stillstatus ein 75-g-oGTT erforderlich. Die Bewertung erfolgt nach den außerhalb der Schwangerschaft gültigen WHO-Kriterien. Ein manifester Diabetes liegt vor bei Nüchternwerten über 126 mg/dl oder 2-Stunden-Werten über 200 mg/dl. Zwischenstadien wie die abnorme Nüchternglukose (100-125 mg/dl) oder gestörte Glukosetoleranz (2-Stunden-Wert 140-199 mg/dl) erfordern ebenfalls engmaschige Kontrollen.
Langfristige Überwachung
Eine kontinuierliche Überwachung des Glukosestoffwechsels ist essentiell, um Diabetesmanifestationen frühzeitig zu erkennen. Empfohlen werden jährliche Kontrollen mit Nüchternglukose und HbA1c-Bestimmung. Bei grenzwertigen HbA1c-Werten ab 5,7% sollte zusätzlich ein oGTT durchgeführt werden. Ab dem 35. Lebensjahr können die Kontrollen in zweijährigen Abständen erfolgen. Bei Planung einer erneuten Schwangerschaft ist eine Diabetesdiagnostik obligat, und in jeder Folgeschwangerschaft sollte bereits im ersten Trimenon eine Hyperglykämie-Diagnostik erfolgen. Frauen mit gestörter Glukosetoleranz benötigen intensive Beratung zu präventiven Lebensstilmaßnahmen.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Schwangerschaftsdiabetes
Rund um das Thema Schwangerschaftdiabetes stellen sich für Betroffene und Angehörige oft viele Fragen: zur Diagnose, zu Behandlungsmöglichkeiten, zu Nebenwirkungen oder zum Alltag mit der Erkrankung. In dieser Patient:innen-FAQ finden Sie Antworten auf die häufigsten Fragen.
Literatur:
- (1)
S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM),Diagnostik, Therapie und Nachsorge, abrufbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/057-008l_S3_Gestationsdiabetes-mellitus-GDM-Diagnostik-Therapie-Nachsorge_2019-06-abgelaufen.pdf, zuletzt abgerufen am 08.09.2025.
- (2)
RKI: Screening Gestationsdiabetes, abrufbar unter: https://diabsurv.rki.de/Webs/Diabsurv/DE/diabetes-in-deutschland/2-19_Screening_Gestationsdiabetes.html