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Medizin

Wie die COVID-19-Pandemie Kopfschmerzen und Migräne beeinflusst

Wie die COVID-19-Pandemie Kopfschmerzen und Migräne beeinflusst
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Migräne ist eine neurologische Erkrankung individueller Ausprägung, die von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten neben einer individualisierten, leitlinienbasierten Therapie, eine intensive Begleitung und erhöhte Aufmerksamkeit für die Belange der Patientinnen und Patienten erfordert. Diese Herausforderungen könnten durch die noch immer anhaltende COVID-19-Pandemie noch größer werden – denn aktuelle Daten zeigen, dass eine COVID-19-Erkrankung Kopfschmerzen verursachen und Migräne verstärken kann. Was dies für Betroffene bedeutet und wie eine erfolgreiche Migränetherapie aussehen kann, stellten die Expertinnen Prof. Dr. Dagny Holle-Lee (Vorsitz), Essen, Dr. Astrid Gendolla, Essen, sowie Dr. Katharina Kamm, München, bei einem Symposium im Rahmen des diesjährigen Deutschen Schmerzkongresses in Mannheim vor.

Zusammenhang zwischen COVID-19 und Kopfschmerzen

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurde eine Vielzahl von Studien durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Kopfschmerzen zu untersuchen (1–5). Interessanterweise konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass die persönliche Schutzausrüstung wie Mund-Nasen-Schutz und Schutzbrille des Gesundheitspersonals, das COVID-19-Patientinnen und -Patienten betreut, selbst zu migräneartigen oder spannungsbedingten Kopfschmerzen führen kann. Dieser kann als eine neue Form eines externen Kompressionskopfschmerzes angesehen werden (1).
 
 

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Mit zunehmender Dauer der Pandemie zeichnet sich ab, dass nach einer COVID-19-Erkrankung immer noch etwa jede 10. Patientin bzw. jeder 10. Patient unter Langzeitfolgen, auch „Long COVID“ oder „Post-COVID“-Syndrom genannt, leidet (6). „Kopfschmerzen, die im Zusammenhang mit einer Viruserkrankung oder -infektion auftreten, sind keine unbekannten Symptome, aber sie treten häufiger und mit größerer Schmerzintensität bei Personen auf, die an COVID-19 erkrankt waren. Studien zeigen, dass u.a. Kopfschmerzen zu den häufigsten Post-COVID-Symptomen gehören. Die mediane Kopfschmerzdauer kann dabei 2 Wochen betragen“, betonte Prof. Dr. Dagny Holle-Lee, Oberärztin der Neurologie am Universitätsklinikum Essen und Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums. Laut Holle-Lee könne dieser Zustand als neu auftretende tägliche Kopfschmerzen (new daily persistent headache, NDPH) eingeordnet werden, der nach einer SARS-CoV-2-Schutzimpfung auftreten und über längere Zeit persistieren könne. Im Rahmen eigener Untersuchungen (7) ermittelt sie am Westdeutschen Kopfschmerzzentrum, welche Therapie bei diesen Betroffenen am besten geeignet ist. Bei bereits an Migräne Erkrankten stellt Holle-Lee ebenfalls einen starken Einfluss der Pandemie fest. So gebe es einen signifikanten Anteil von Betroffenen, bei denen sich eine Verschlechterung der Kopfschmerzhäufigkeit und -intensität während der Pandemie zeigte.

Migräne: Weit verbreitet, doch unterbehandelt

Die Bedeutung dieser Erkenntnisse über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Prävalenz von Kopfschmerzen und Migräne wird nochmals verstärkt, wenn man sich die weltweite Verbreitung vor Augen führt. So leidet etwa jeder 10. Mensch auf der Welt an Migräne (8, 9). Hiervon erhalten laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch bis zu 60% weltweit keine gesicherte Diagnose bzw. keine angemessene medizinische Versorgung (10). „Nach wie vor ist Migräne generell eine unterdiagnostizierte und unterbehandelte Erkrankung. Und das, obwohl zahlreiche Behandlungsoptionen zur Akuttherapie und Prophylaxe zur Verfügung stehen“, sagte Dr. Astrid Gendolla, Fachärztin für Neurologie und Leiterin des regionalen Schmerzzentrums Essen. Durch eine individualisierte, leitliniengerechte ärztliche Begleitung, die auch das Umfeld und die Lebensumstände der Patientinnen und Patienten berücksichtigt, könnten Betroffene die für sie bestmögliche Therapie erhalten. Entscheidend dafür sei es aber auch, Komorbiditäten wie Depressionen und Angstzustände genau im Blick zu behalten. Gerade Migränepatientinnen und -patienten hätten ein erhöhtes Risiko, psychische Komorbiditäten zu entwickeln (11). Zu den relevanten Begleiterkrankungen zählt Dr. Gendolla auch den Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz (MOH). Bei mehr als 15 Kopfschmerztagen pro Monat und einer gleichzeitigen Einnahme von einem oder mehreren Schmerzmedikationen in diesem Zeitraum spricht man von einem MOH (12). Hier sei es bereits wichtig, die Risikofaktoren für die Entwicklung eines MOH zu kennen, zum Beispiel das Vorliegen einer Angsterkrankung oder Depression, führte sie fort. Denn gerade diese Beschwerden bedeuten ein fast 5-fach höheres Risiko für die Betroffenen, einen MOH zu entwickeln (13).

Migräne ist nicht nur Kopfschmerz: Die Gesamtheit der Symptome kennen

Voraussetzung für eine individuelle und leitliniengerechte Behandlung ist jedoch, dass Migräne als solche von Patientinnen, Patienten, Ärztinnen und Ärzten richtig erkannt wird. Hier gilt es, vor allem Betroffene für erste Anzeichen einer Migräne zu sensibilisieren. Denn bei einer typischen Migräneattacke kann man unterschiedliche Phasen abgrenzen, die sich durch verschiedene Symptome charakterisieren lassen (14). „Leider wissen wir noch zu wenig über die Prävalenz der Prodromalphase. Auch werden die Symptome in klinischen Studien und auch in der Behandlung von Betroffenen noch zu wenig berücksichtigt“, sagte Dr. Katharina Kamm, LMU Klinikum München. So gebe es in der Prodromalphase, die wenige Stunden bis 1 oder 2 Tage vor der eigentlichen Attacke auftreten kann, eine Reihe wichtiger Warnsignale für eine Migräneattacke, die Betroffene als solche kennen sollten. Dazu gehören z.B. Stimmungsschwankungen, Konzentrationsstörungen, Abgeschlagenheit, aber auch vermehrtes Gähnen, Nackenschmerzen oder Heißhungerattacken (15).
 
 

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„Betroffene sollten auf die Signale ihres Körpers hören“, so Dr. Kamm. Denn diese Vorboten würden von den Patientinnen und Patienten oft nicht mit einer sich anbahnenden Migräne assoziiert und eher als Auslöser fehlinterpretiert (15). Zum Beispiel Schokolade, die Betroffene oft für einen Auslöser von Migräne halten (16). „Hierzu ist die aktuelle Studienlage eindeutig. Schokolade verursacht keine Migräne. Vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass dadurch der Heißhunger kompensiert wird“, erläuterte Dr. Kamm. Betroffenen rät sie, derlei Symptome detailliert zu dokumentieren, etwa mit Hilfe eines Kopfschmerzkalenders. Dieser helfe, Muster im Verlauf einer Migräne zu erkennen. Mit begleitender ärztlicher Unterstützung könnten Betroffene so lernen, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen. Schmerzhafte Einschnitte oder Einbußen im Alltag könnten so vermieden werden.

Quelle: Lundbeck

Literatur:

(1) Ong J J Y et al. Headache related to PPE Use during the COVID-19 Pandemic. Curr Pain Headache Rep. 2021;25(8):53.
(2) Oliveira et al. Impact of personal protective equipment use in migraine patients during the COVID-19 pandemic. EHF congress 2021. The Journal of Headache and Pain 2021;22(103):34.
(3) Bolay et al. COVID-19 is a Real Headache. Headache 2020;60:1415–1421.
(4) Planchuelo-Gomez et al. Deep Phenotyping of Headache in Hospitalized COVID-19 Patients vis Principal Component Analysis. Front Neurol 2020;17(11):58387.
(5) Toptan et al. Case series of Headache Characteristics in COVID-19: Headache Can be an Isolated Symptom. Headache 2020;60(8):1788-1792.
(6) Rajan S, Khunti K, Alwan N et al. In the wake of the pandemic. Preparing for long COVID. Policy Brief 39. World Health Organization. 2021. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/339629/Policy-brief-39-1997-8073- eng.pdf (abgerufen am 15.10.2021).
(7) Holle-Lee. Data on file.
(8) Vos T et al. Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 310 diseases and injuries, 1990–2015: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2015 Lancet. 2016; 388: 1545-602.
(9) Woldeamanuel YW, Cowan RP. Migraine affects 1 in 10 people worldwide featuring recent rise: A systematic review and meta-analysis of community-based studies involving 6 million participants. J Neurol Sci. 2017 Jan 15;372:307-315.
(10) World Health Organization (WHO) (2011). Atlas of headache disorders and resources in the world 2011. World Health Organization. https://apps.who.int/iris/handle/10665/44571 (abgerufen am 19.10.2021).
(11) Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-057l_S1_Migraene-Therapie_2020-12.pdf
(12) Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMGK). Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch. https://www.dmkg.de/patienten/antworten-auf-die-wichtigsten-fragen-rund-um-den-kopfschmerz-onlinebroschuere/online_broschuere_medikamentenuebergebra (abgerufen am 15.10.2021).
(13) Diener HC et al. Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH). https://dgn.org/wp- content/uploads/2012/11/030131_LL_Medication_Overuse_Headache_2018.pdf (abgerufen am 19.10.2021). 14 Ong JJY, Wei DY, Goadsby PJ. Recent Advances in Pharmacotherapy for Migraine Prevention: From Pathophysiology to New Drugs. Drugs. 2018 Mar;78(4):411-437. doi: 10.1007/s40265-018-0865-y. PMID: 29396834.
(15) Karsan N, Goadsby PJ. Biological insights from the premonitory symptoms of migraine. Nat Rev Neurol. 2018 Dec;14(12):699-710.
(16) Marcus DA, Scharff L, Turk D, Gourley LM. A double-blind provocative study of chocolate as a trigger of
headache. Cephalalgia. 1997 Dec;17(8):855-62; discussion 800. doi: 10.1046/j.1468-2982.1997.1708855.x. PMID: 9453274.



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