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Multiple Sklerose

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der es infolge fehlgesteuerter Autoimmunprozesse zu einer Schädigung von Nervenfasern und ihrer Myelinscheiden kommt. Das klinische Erscheinungsbild ist variabel: Die Erkrankung kann schubweise verlaufen oder von Beginn an kontinuierlich fortschreiten. Die pathogenetischen Mechanismen unterscheiden sich daher je nach Verlaufsform und Erkrankungsstadium [1].

Wie häufig ist MS und wer ist betroffen?

Multiple Sklerose tritt bevorzugt im jungen Erwachsenenalter auf, meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Seltener beginnt die Erkrankung bereits in der Kindheit oder erst im höheren Erwachsenenalter. Erstdiagnosen nach dem 60. Lebensjahr sind möglich, stellen jedoch Ausnahmen dar [2]. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer – insbesondere bei der schubförmig remittierenden Verlaufsform. Das Geschlechterverhältnis liegt bei etwa 2:1 bis 3:1 [1, 2].

MS weltweit: Prävalenz und geographische Unterschiede

Schätzungen zufolge leben weltweit etwa 2,8 Millionen Menschen mit MS [2]. Die geographische Verteilung ist ungleichmäßig: Die Erkrankungshäufigkeit nimmt mit zunehmender Entfernung vom Äquator zu. Als mögliche Ursache wird unter anderem die reduzierte Sonneneinstrahlung in höheren Breitengraden diskutiert [2].

MS in Deutschland: Prävalenz und Neuerkrankungen

In Deutschland leben nach aktuellen Angaben über 280.000 MS-Erkrankte. Pro Jahr werden mehr als 15.000 Neuerkrankungen diagnostiziert [2]. Die Prävalenz betrug im Jahr 2019 etwa 0,34% der gesetzlich versicherten Bevölkerung [1]. Im Vergleich zu früheren Jahren ist ein deutlicher Anstieg der Erkrankungszahlen zu beobachten. Ob der beobachtete Anstieg der Prävalenz auf eine reale Zunahme der Neuerkrankungen oder auf verbesserte diagnostische Möglichkeiten und frühere Erkennung zurückzuführen ist, bleibt bislang offen [1].

Was sind die Ursachen und Risikofaktoren der Multiplen Sklerose?

Die Entstehung der Multiplen Sklerose beruht auf einem komplexen Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung, immunologischer Fehlregulation und verschiedenen Umweltfaktoren [2, 3]. Als Autoimmunerkrankung richtet sich das Immunsystem fehlgeleitet gegen Strukturen des zentralen Nervensystems, insbesondere gegen die Myelinscheiden der Nervenfasern. Dabei sind sowohl T- als auch B-Zellen beteiligt, ebenso wie lösliche Mediatoren wie Zytokine und Antikörper. Diese immunvermittelte Entzündungsreaktion verursacht fokale Läsionen in weißer und grauer Substanz und kann langfristig zu strukturellen und funktionellen Schäden führen [2, 4].

Genetische Veranlagung und familiäre Häufung

Zwar wird MS nicht im klassischen Sinn vererbt, doch familiäre Häufungen belegen eine genetische Prädisposition. Verwandte ersten Grades von MS-Erkrankten haben ein signifikant erhöhtes Risiko, selbst zu erkranken. Genomweite Analysen identifizierten mehrere hundert Genvarianten mit Relevanz für die Erkrankung – viele davon betreffen immunologisch aktive Genregionen, ähnlich wie bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder rheumatoider Arthritis [3].

Epstein-Barr-Virus (EBV) als möglicher Faktor?

Einen besonders engen Zusammenhang zeigt die Forschung mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Nahezu alle MS-Betroffenen weisen serologische Hinweise auf eine frühere EBV-Infektion auf. Ein deutlich erhöhtes Risiko besteht insbesondere bei einer Primärinfektion im Jugend- oder Erwachsenenalter, während eine Infektion im frühen Kindesalter mit einem geringeren Risiko assoziiert ist [3, 4].

Weitere Umwelt- und Risikofaktoren

Weitere Risikofaktoren betreffen vor allem Umwelt- und Lebensstilbedingungen. So ist das Erkrankungsrisiko in Regionen mit geringer Sonnenexposition – etwa in höheren Breitengraden – erhöht. Ein Zusammenhang mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln wird vermutet, da Vitamin D eine immunmodulierende Wirkung besitzt. Personen mit höheren Spiegeln oder regelmäßiger Sonnenlichtexposition zeigen nicht nur ein geringeres Risiko, sondern auch einen milderen Verlauf [3, 4].

Zudem ist Rauchen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko und einer ungünstigeren Krankheitsdynamik assoziiert.Adipositas im Jugendalter wird ebenfalls als potenziell relevanter Faktor diskutiert [3, 4].

Wie entsteht Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose ist durch eine fehlgeleitete Immunreaktion gegen Strukturen des zentralen Nervensystems (ZNS) gekennzeichnet. Autoreaktive Immunzellen überwinden die Blut-Hirn-Schranke und greifen die Myelinscheiden der Axone an. Das Myelin, eine fetthaltige Schutzschicht, unterstützt die elektrische Signalübertragung im Nervensystem. Neben der Demyelinisierung kommt es auch zur Schädigung der Axone selbst und der Zellkörper im Bereich der grauen Substanz. Mit fortschreitender Erkrankung kann die kortikale Hirnsubstanz schrumpfen – ein Prozess, der als kortikale Atrophie bezeichnet wird und Parallelen zu anderen neurodegenerativen Erkrankungen aufweist [3].

Entstehung und Verteilung von MS-Plaques im ZNS

Pathologisch zeigen sich Läsionen („Plaques“) im Gehirn und Rückenmark, insbesondere in der weißen Substanz rund um die Ventrikel, in Sehnerven, Kleinhirnstielen, im Hirnstamm sowie in subpialen Bereichen. Diese Plaques treten in allen MS-Verlaufsformen auf, ihre immunopathologischen Muster variieren jedoch – insbesondere zwischen schubförmigem und progredientem Verlauf [5].

Die Plaques entstehen durch fokale Entzündungsprozesse, in deren Verlauf Immunzellen – vorrangig CD8+- und CD4+-T-Zellen des Typs Th1 und Th17 – Zytokine wie Interferon-γ, IL-17 und GM-CSF freisetzen. Diese fördern die Demyelinisierung, axonale Schädigung und degenerative Prozesse. Ein Versagen zentraler und peripherer Toleranzmechanismen trägt zur Persistenz autoreaktiver T-Zellen bei [5].

Gleichzeitig sind Gedächtnis-B-Zellen im Liquor und Parenchym aktiv, die durch klonale Expansion, somatische Hypermutation und die Produktion von oligoklonalen Immunglobulinen (OCBs) charakterisiert sind – ein zentrales diagnostisches Merkmal der MS [5].

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Wie wird die Multiple Sklerose eingeteilt?

Klassische Verlaufsformen: RRMS, SPMS und PPMS

Die Multiple Sklerose wird traditionell in drei Hauptformen unterteilt [1]:

  • Die Schubförmig-remittierende MS (RRMS) ist mit etwa 80–90% die häufigste Erstmanifestation. Sie ist gekennzeichnet durch klar definierte Schübe mit vollständiger oder unvollständiger Rückbildung der neurologischen Symptome.

  • Die Sekundär progrediente MS (SPMS) entwickelt sich bei vielen Patient:innen im Verlauf aus einer RRMS. Dabei kommt es zu einer allmählichen Zunahme der Behinderung – mit oder ohne weiterhin auftretende Schübe. Etwa 30–40% der Patient:innen gehen nach 10–15 Jahren in diese Phase über; nach 20 Jahren sind es bis zu 90% [2].

  • Die Primär progrediente MS (PPMS) betrifft rund 10–15% der Betroffenen. Hier verläuft die Erkrankung von Beginn an kontinuierlich fortschreitend – meist ohne erkennbare Schübe [1, 2].

Erweiterte Klassifikation nach Aktivität und Progression

Seit 2013 wird empfohlen, MS-Verlaufsformen zusätzlich nach Krankheitsaktivität (Schübe, MRT-Läsionen) und klinischer Progression zu differenzieren. Damit wird unterschieden, ob eine Zunahme der Behinderung schubabhängig (relapse-associated worsening, RAW) oder schubunabhängig (progression independent of relapse activity, PIRA) erfolgt. Letzteres tritt häufiger auf als früher angenommen, auch bei formal schubförmig klassifizierten Verläufen [1].

Wie äußert sich die Multiple Sklerose?

Frühe Anzeichen und neurologische Leitsymptome

Die ersten Symptome einer Multiplen Sklerose sind häufig neurologischer Natur und betreffen vor allem das visuelle und motorische System. Typisch ist eine Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis), die sich in Form von Verschwommensehen, Nebel- oder Doppelbildern sowie Schmerzen bei Augenbewegung äußert [2, 3]. Ebenfalls häufig zu Beginn sind motorische Störungen wie Muskelschwäche, Lähmungserscheinungen, ein Gefühl von Steifigkeit oder unsicherem Gang. Diese Paresen betreffen insbesondere die Beine und können mit spastischer Tonuserhöhung einhergehen [2, 3]. Weitere frühe Symptome sind:

  • Sensibilitätsstörungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühl oder brennende Missempfindungen, meist an Armen, Beinen, Gesicht oder Rumpf

  • Gleichgewichtsstörungen und Koordinationsprobleme beim Gehen oder Greifen

  • Blasenfunktionsstörungen – vom imperativen Harndrang bis zur Inkontinenz

  • Schwindel und Gangunsicherheit [2, 3]

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Unsichtbare Symptome: Fatigue, Schmerz und Kognition

Neben den sichtbaren Symptomen leiden viele MS-Betroffene unter Beschwerden, die für Außenstehende schwer erkennbar sind, im Alltag aber massiv einschränken können. Dazu zählen:

  • Fatigue

  • kognitive Einschränkungen

  • Stimmungsveränderungen

  • Schmerzen

  • Sexuelle Funktionsstörungen

Verlaufsabhängige Symptomprogression

Im fortgeschrittenen Stadium können Bewegungsstörungen, Muskelsteifigkeit (Spastik) und Lähmungen das Gehen oder Stehen erheblich beeinträchtigen – in Einzelfällen bis hin zur Notwendigkeit eines Rollstuhls [3]. Blasenentleerungsstörungen, Dysarthrie (verwaschene Sprache) oder visuelle Defizite können ebenfalls persistieren oder sich verschlimmern.

Fieber, Infekte oder Hitzeeinwirkung können bestehende Symptome temporär verschlechtern – ein Phänomen, das als Uhthoff-Phänomen bezeichnet wird [3].

Definition

Was ist ein MS-Schub?

Ein MS-Schub ist definiert als das Auftreten neuer oder das Wiederaufflammen früherer neurologischer Symptome

  • die subjektiv berichtet oder objektiv klinisch festgestellt werden können,

  • mindestens 24 Stunden anhalten

  • in einem zeitlichen Abstand von mehr als 30 Tagen zum Beginn eines vorangegangenen Schubs auftreten und

  • nicht durch Fieber, Infektionen oder andere körperliche Ursachen (z. B. Uhthoff-Phänomen) erklärbar sind.

Typische Schubsymptome sind u. a.:

  • Optikusneuritis

  • inkomplette Myelitis

  • fokale supratentorielle, zerebelläre oder Hirnstammsyndrome

Wie wird die multiple Sklerose diagnostiziert?

Die Diagnose der Multiplen Sklerose (MS) beruht auf den McDonald-Kriterien von 2017 [1]. Dabei wird der Nachweis einer zeitlichen (DIT) und räumlichen Dissemination (DIS) von Läsionen im zentralen Nervensystem gefordert – entweder anhand klinischer Befunde oder mittels bildgebender bzw. laborchemischer Verfahren.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) spielt eine zentrale Rolle in der MS-Diagnostik. Sie ermöglicht den strukturellen Nachweis typischer Läsionen in Gehirn und Rückenmark. Besonders aussagekräftig ist die Darstellung sowohl kontrastmittelaufnehmender als auch nicht aufnehmender Läsionen, da dies Hinweise auf unterschiedliche Entzündungszeitpunkte liefert und damit den DIT-Nachweis unterstützt. Zusätzlich dient die MRT dem Ausschluss anderer neurologischer Erkrankungen [1, 3].

Nachweis der räumlichen Dissemination (DIS)

Mindestens eine T2-hyperintense Läsion muss in mindestens zwei von vier typischen ZNS-Arealen nachweisbar sein: periventrikulär, kortikal/juxtakortikal, infratentoriell, spinal.

Nachweis der zeitlichen Dissemination (DIT)

Dieser kann erfolgen durch gleichzeitiges Auftreten kontrastmittelaufnehmender und nicht-aufnehmender Läsion im MRT oder eine neue T2-Läsion in einem Verlaufs-MRT. Alternativ kann auch der Liquorbefund den zeitlichen Nachweis unterstützen.

Funktion der Liquorpunktion

Die Lumbalpunktion dient dem Nachweis liquorspezifischer oligoklonaler Banden (OKB), die eine intrathekale Immunaktivität anzeigen. Dieser Befund kann als Ersatz für den DIT-Nachweis herangezogen werden und hilft insbesondere in diagnostisch unklaren Situationen oder bei atypischer MRT-Befundlage [1, 3].

MS bleibe eine Ausschlussdiagnose

Die Diagnose darf nur gestellt werden, wenn keine besser passende alternative Erklärung („no better explanation“) für die Symptome oder paraklinischen Befunde vorliegt [1].

Neben der MS sollten differenzialdiagnostisch entzündliche, vaskuläre, infektiöse und metabolische ZNS-Erkrankungen berücksichtigt werden. Hinweise hierfür können sich z. B. aus auffälligen Liquorparametern, untypischer MRT-Morphologie (z. B. langstreckige Myelitis, beidseitige Optikusneuritis) oder demographischen bzw. anamnestischen Besonderheiten (z. B. später Krankheitsbeginn, Autoimmunerkrankungen) ergeben.

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Wie behandelt man die Multiple Sklerose?

Nicht-medikamentöse Therapie

Ein gesunder Lebensstil kann den Verlauf der Multiplen Sklerose (MS) günstig beeinflussen und sollte integraler Bestandteil jeder Therapie sein. Regelmäßige Bewegung verbessert nicht nur Fitness und Mobilität, sondern wirkt sich auch positiv auf Komorbiditäten wie Adipositas, Bluthochdruck oder Diabetes aus. Ergänzend dazu spielt eine ausgewogene Ernährung eine wichtige Rolle. Sie unterstützt das Mikrobiom, wirkt präventiv gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und kann helfen, Übergewicht zu reduzieren. Mikronährstoffmängel – insbesondere ein Vitamin-D-Mangel – sollten erkannt und gezielt ausgeglichen werden, wobei von Ultra-Hochdosistherapien abzuraten ist. Ebenso bedeutsam ist die psychische Gesundheit: Stress, depressive Symptome oder traumatische Erfahrungen können den Verlauf ungünstig beeinflussen – frühe psychologische Unterstützung, Achtsamkeitstechniken oder digitale Angebote können helfen. Schließlich ist ein Rauchstopp essenziell, da aktives und passives Rauchen nachweislich die Krankheitsprogression fördert; ein bewusster Umgang mit Alkohol wird ebenfalls empfohlen.

Schubtherapie

Die Therapie von akuten MS-Schüben erfolgt standardmäßig mit hochdosierten Glukokortikosteroiden, in der Regel Methylprednisolon (MP). Ziel ist die rasche Linderung neurologischer Defizite. Bei unzureichendem Ansprechen kann eine Eskalation erfolgen, etwa durch erneute Hochdosis-Gabe oder Plasmapherese – insbesondere bei anhaltender, alltagsrelevanter Beeinträchtigung

Immuntherapie: Krankheitsmodifizierende Ansätze

Ziel moderner MS-Therapie ist es, die Krankheitsaktivität zu reduzieren, das Fortschreiten der Behinderung zu verlangsamen und die Lebensqualität zu erhalten. Die Wahl der passenden Immuntherapie erfolgt individuell anhand des Erkrankungsverlaufs und potenzieller Risiken.

Die zugelassenen Medikamente werden in drei Wirksamkeitskategorien unterteilt. Die Therapiewahl hängt dabei nicht nur von der Wirksamkeit, sondern auch von der individuellen Krankheitsdynamik, Komorbiditäten, Lebensumständen und Therapiezielen ab.

  • Kategorie 1 (30–50% Reduktion der Schubrate): Beta-Interferone, Glatirameracetat, Teriflunomid, Dimethylfumarat

  • Kategorie 2 (50–60 %):Cladribin, S1P-Modulatoren

  • Kategorie 3 (> 60 % oder ≥ 40 % vs. Kategorie 1): CD20-Antikörper (z. B. Ocrelizumab), Alemtuzumab, Natalizumab

Behandlung von MS-Symptomen

Neben der Immuntherapie ist die gezielte Behandlung krankheitsspezifischer Symptome ein zentraler Bestandteil der MS-Versorgung. Viele der häufigen Beschwerden lassen sich durch eine Kombination aus medikamentösen und nicht-medikamentösen Maßnahmen effektiv lindern. Muskelsteifigkeit (Spastik) etwa kann durch Physiotherapie, aber auch durch Medikamente wie Baclofen, Tizanidin oder in bestimmten Fällen durch Botulinumtoxin behandelt werden. Bei Fatigue – einem der häufigsten und belastendsten Symptome – haben sich verhaltenstherapeutische Ansätze, körperliches Training sowie bestimmte Medikamente (z. B. Amantadin oder Modafinil) bewährt. Kognitive Einschränkungen, die bei vielen Betroffenen im Verlauf auftreten können, lassen sich durch neuropsychologische Diagnostik, gezieltes Training und ggf. unterstützende Medikation positiv beeinflussen. Auch Funktionsstörungen von Blase und Darm sind behandelbar – zum Beispiel durch Beckenbodentraining, Medikamente wie Anticholinergika oder gegebenenfalls Katheterverfahren. Weitere Symptome wie Ataxie, Tremor oder Sehstörungen werden meist symptomatisch im Rahmen interdisziplinärer Therapiekonzepte adressiert. Ein ganzheitlicher Ansatz, der die individuellen Beschwerden in den Mittelpunkt stellt, ist daher entscheidend für Lebensqualität und Teilhabe im Alltag.

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Wie erfolgt die Nachsorge und weitere Begleitung?

Die Nachsorge bei MS ist entscheidend, um Krankheitsaktivität frühzeitig zu erkennen, therapeutische Maßnahmen optimal anzupassen und bleibenden neurologischen Schäden vorzubeugen.

Verlaufskontrollen: Klinisch und per MRT

Bei unbehandelten Personen wird eine erste klinische und MRT-gestützte Verlaufskontrolle nach sechs Monaten empfohlen, anschließend jährlich. Behandelte Patient:innen sollten alle drei bis sechs Monate klinisch untersucht werden. MRT-Kontrollen erfolgen idealerweise sechs und 18 Monate nach Therapiebeginn und dann in individuell festgelegten Abständen. Dabei sollte möglichst auf Gadolinium-Kontrastmittel verzichtet werden, da sich dieses im Gehirn ablagern kann – der Nutzen muss gegen potenzielle Risiken abgewogen werden.

Therapieanpassung bei aktiver MS

Tritt Krankheitsaktivität unter einer Substanz der Wirksamkeitskategorie 1 auf, sollte – abhängig vom Ausmaß – ein Wechsel auf eine stärker wirksame Substanz der Kategorie 2 oder 3 erfolgen. Individuelle Aspekte wie Nebenwirkungen, Komorbiditäten, Applikationsform oder Monitoringaufwand sollten in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Ein Wechsel innerhalb der Kategorie 1 sollte nur dann erwogen werden, wenn zwingende Gründe gegen eine Eskalation sprechen.

Therapieende oder Deeskalation

Ein Absetzen oder eine Deeskalation der Immuntherapie kann in Erwägung gezogen werden, wenn die Erkrankung unter einer Kategorie-1-Therapie über mindestens fünf Jahre stabil verlaufen ist – also ohne Schübe und ohne MRT-Aktivität. In solchen Fällen ist eine ausführliche Aufklärung erforderlich, da es auch zu einem Wiederaufflammen der Krankheitsaktivität kommen kann.

Nach Therapiepause sind Kontrolluntersuchungen nach sechs und zwölf Monaten vorgesehen, anschließend jährlich. Zeigt sich erneut Krankheitsaktivität, sollte eine Re-Eskalation der Therapie erfolgen. Besonders nach Absetzen von Fingolimod oder Natalizumab besteht ein erhöhtes Risiko für schwere Rebound-Verläufe, weshalb hier besondere Vorsicht geboten ist [1].

Wie ist die Prognose bei Multipler Sklerose?

Der Verlauf der MS ist sehr individuell und lässt sich zu Beginn der Erkrankung kaum präzise vorhersage, eine allgemeingültige Prognoseformel existiert nicht. Trotz der Unsicherheit muss betont werden: MS verläuft nicht zwangsläufig schwer. Gerade in der Frühphase der Erkrankung kann es zu einer fast vollständigen Rückbildung von Schüben kommen, insbesondere wenn Entzündungsherde gut abheilen. Nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen kommt es innerhalb weniger Jahre zu einer schweren Behinderung.

Verlaufsbeobachtungen zeigen: Ist die Erkrankung nach fünf bis zehn Jahren stabil, ohne wesentliche Krankheitsaktivität, spricht dies tendenziell für einen milderen Verlauf. Dennoch ist dies keine Garantie und kein Argument gegen eine Therapie – auch bei zunächst gutartigem Verlauf kann es später zu Aktivitätsschüben oder Progression kommen [2].

Patient:innen-FAQ

Häufig gestellte Fragen zum Thema Multiple Sklerose

Rund um das Thema Multiple Sklerose stellen sich für Betroffene und Angehörige oft viele Fragen: zur Diagnose, zu Behandlungsmöglichkeiten, zu Nebenwirkungen oder zum Alltag mit der Erkrankung. In dieser Patient:innen-FAQ finden Sie Antworten auf die häufigsten Fragen.

Literatur:

(1)

S2k-Leitlinie: „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, NMOSD und MOGAD“, Version 8.0, Stand: Dezember 2024, abrufbar unter: https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030050_living_Guideline_MS_V8.0_250218_clean_1740393819868.pdf

(2)

Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V.: Was ist MS, abrufbar unter: https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/was-ist-ms

(3)

National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS): Multiple Sclerosis, abrufbar unter: https://www.ninds.nih.gov/health-information/disorders/multiple-sclerosis

(4)

Alfredsson L et al (2021): Lifestyle and Environmental Factors in Multiple Sclerosis. Cold Spring Harbor Perspectives in Medicine, DOI: : 10.1101/cshperspect.a028944

(5)

Dighriri AA et al. (2023): An Overview of the History, Pathophysiology, and Pharmacological Interventions of Multiple Sclerosis. Cureus, DOI: 10.7759/cureus.33242